Stiller
beunruhigen. Endlich in einem ersten Brief noch mit der Anrede »Lieber Freund und Staatsanwalt!« bat Stiller um einen elektrischen Kocher, leihweise; es war Winter, und außer einem warmen, im Arrangement inbegriffenen Frühstück lebten sie von kaltem Picknick in ihrem Hotelzimmer. Stiller bedankte sich in jenem kurzen Brief »für alles« mit einer alarmierenden Unterwürfigkeit. Wir hatten damals Angst um die beiden; ein vielleicht nettes, in jedem Fall aber beziehungsloses Hotelzimmer an einem toten Kurort schien uns die unseligste Szenerie für eine Wiederbegegnung dieses Ehepaares zu sein. Endlich, an einem Wochenende anfangs Februar, fuhren wir nach Territet, meine Frau und ich, und trafen die beiden, von der Sonne gebräunt, in einem wirklich netten, schmalen, dafür mit einem Balkönlein versehenen Hotelzimmer; ihre gestapelten Koffer machten es noch schmaler. Um so weiter wirkte der Genfer See vor dem Fenster. Stiller gab sich fröhlich, etwas zu fröhlich, nahm seine Frau am Arm und stellte vor: »ein schweizerisches Inland-Emigranten-Ehepaar«. Jede Frage nach ihrer Zukunft wurde vermieden. Unten im Speisesaal kamen wir alle nicht über eine ziemlich mühsame Konversation hinaus; dabei war das Hotel beinahe leer, der Betrieb gewissermaßenfamiliär, und dennoch saßen Stiller und seine Frau in einer Befangenheit, als hätten sie noch nie vor einem weißen Tischtuch gesessen. Außer uns gab es in dem Speisesaal nur wenige Leute, einen greisenhaften Engländer, teilweise gelähmt, so daß die Nurse ihm das Fleisch zerschneiden mußte, ferner einen französischen Marquis mit einem Buch über der Suppe, lauter Außenseiter, Einsame, ausgenommen ein deutsches Liebespaar, dessen Eheringe, wie ich sofort sah, nicht aus dem gleichen Gold waren, zwei Glückliche von auffallender Schüchternheit. Ein junger Kellner, Deutschschweizer, brachte sie mit seinem Französisch vollends zum Erröten. Jedenfalls sahen wir keinen Grund, weswegen Stiller und seine Frau so verschüchtert waren. Leider regnete es über das ganze Wochenende. Spazieren kam nicht in Frage, und Stiller und seine Frau scheuten sich vor einem Aufenthalt in der menschenleeren Halle. So saßen wir denn fast die ganze Zeit in ihrem schmalen Hotelzimmer zwischen Koffern. Ich erinnere mich nicht mehr an ein bestimmtes Gespräch, eher noch an ihre Erscheinung. Seine Frau, elegant auch in ausgetragenen Kleidern, ging fast immer hin und her, sprach so gut wie nichts, hörte zu und rauchte ohne Unterlaß. Sie kamen uns wie Russen in Paris vor, oder wie meine Frau meinte: wie deutsche Juden in Neuyork; nichts gehörte zu ihnen. Frau Julika und meine Frau sahen einander zum erstenmal, über das Höfliche hinaus redeten sie kaum ein Wort zusammen. Stiller versuchte es öfters mit seinem Humor. Alles in allem war es bedrückend, ein endloser Nachmittag mit Regen am Fenster, Tee und viel Rauch, eigentlich eine Enttäuschung; wahrscheinlich für alle Teile. Ihr Geld ging zu Ende, das war unschwer zu erraten. Eine Arbeit zu finden, einigermaßen ihren nicht sehr gefragten Fähigkeiten gemäß, schien so gut wie unmöglich zu sein. Eine Rückkehr in die Pariser Tanzschule, die übrigens nicht Frau Julika, sondern jenem Monsieur Dmitritsch gehörte, kam wohl auch nicht in Frage. Stiller lachte über diese blanke Aussichtslosigkeit. Frau Julika stand, wartend auf das Wasser im elektrischen Kocherchen, die schlanken Hände in den Taschen ihres Tailleurs, rauchend, und Stiller hockte auf einem Koffer, seine Hände um das emporgezogene Knie gefaltet; so und nicht viel anders, hatte man das Gefühl, werden sie auch unter vier Augen leben, freundlich, daher eher wortarm, zwei Gefesselte mit der Vernünftigkeit, sich zu vertragen. Stiller bat um Bücher.
Lange hörten wir nichts von ihnen. Auch ich wußte nichts zu schreiben, nach unserem Besuch weniger denn zuvor. Ich hatte es wohl im Sinn. Eswäre gut gewesen, doch wußte ich nicht wie. Auf eine umfängliche Büchersendung, darunter ein Band Kierkegaard, erfolgte keinerlei Antwort. Monatelang schien es das Ehepaar Stiller nicht zu geben. Zumindest hielten wir ihre Adresse nicht mehr für gültig. An Menschen, deren Leben man sich nicht vorzustellen vermag, denkt man wenig, selbst in einem Fall, wo man sich einbildet, daß sie uns brauchen könnten. Ich vernachlässigte sie damals vollkommen; meine Frau hinwiederum hatte andere Gründe, weswegen sie glaubte nicht schreiben zu können, jedenfalls achtbare Gründe.
Nach
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