Stiller
Neger. Um wieder sehr genau zu sein: zu meiner rechten Seite wohnten Chinesen. Und nicht zu vergessen das kleine verwucherte Gärtlein. Sonntags hörte man Gesang der Neger aus ihrer hölzernen Kirche. Sonst Stille, sehr viel Stille; manchmal das heisere Tuten aus dem Hafen, das Gerassel von Ketten, das durch Mark und Bein geht. Übrigens war ich nicht der Eigentümer dieser kleinen Schindelhütte, nur Mieter. Ich hatte damals überhaupt kein Geld. Die Miete bestand darin, daß ich die Katze füttern mußte. Ich kann Katzen nicht leiden. Aber dafür, und das Katzenfutter stand in roten Büchsen bereit, hatte ich eine Küche mit Herd und Eisschrank, sogar Radio. In den heißen Nächten war die Stille oft kaum zu ertragen; ich war froh um Radio.
»Und dort lebten Sie ganz allein?«
»Nein«, sage ich, »mit der Katze.«
Schon die Katze notiert er nicht mehr ... Dabei war diese Katze, wie ich heute glaube, der erste Vorbote. Ihre Besitzer nannten sie ›Little Grey‹, hatten ihr das Futter stets in der Küche serviert, ein Brauch, den ich schon des Geruches wegen nicht fortzusetzen gewillt war. Ich öffnete die tägliche Büchse, stülpte das widerliche Zeug auf den Teller draußen im Garten, was nun die Katze, verwöhnt wie sie eben war, ihrerseits nicht mitzumachen gewillt war. Sprung auf den Sims meines offenen Fensters! Mit grünen Augen glühte sie mich an, fauchend. Wie sollte ich unter solchen Umständen lesen können? Mit Schwung warf ich sie, ein Bündel mit zappelnden Pfoten, hinaus in die kalifornische Nacht, schloß sämtliche Fenster. Fauchend hockte sie vor der Scheibe, fauchend, sooft ich sie anblickte, stundenlang, wochenlang. Ihr das Büchsenfutter zu geben, versäumte ich nie, das war ja meine Pflicht, die einzige meines damaligen Lebens. Und sie versäumte nie, durch irgendein offenes Fenster immer wieder ins Haus zu schleichen (ich konnte doch nicht den ganzen Sommer hinter verschlossenen Fenstern verbringen!) und unversehens, wenn ich glücklich war, um meine Beine zu schmeicheln. Es wurde ein richtiger Kampf, ein lächerlicher Kampf auf Ausdauer, ein fürchterlicher Kampf; nächtelang lag ich schlaflos, weil sie um meine Hütte jaulte und mich der ganzen Nachbarschaft als grausamen Menschen verschrie. Ich ließ sie herein, steckte sie in den Eisschrank, konnte trotzdem nicht schlafen. Als ich mich erbarmte, fauchte sie nicht mehr; ich machte ihr warme Milch, die sie erbrach. Ihr Blick drohte mit Sterben. Sie war imstande, mir alles zu vergällen, das kleineSchindelhaus, das Gärtlein; sie war zugegen, auch wenn sie nicht zugegen war, und brachte mich dahin, daß ich sie beim Einnachten suchte. Ich fragte die Neger auf dem Randstein, ob sie nicht ›Little Grey‹ gesehen hätten, und sie zuckten die runden Achseln. Elf Tage und Nächte blieb sie weg. Eines heißen Abends, wie ich gerade Besuch von Helen hatte, springt sie auf den Fenstersims. My Goodness! ruft Helen; die Katze sitzt mit einer klaffenden Wunde im Gesicht, Blut tropfend und mit einem Blick, als hätte ich sie verwundet. Eine Woche lang fütterte ich sie in der Küche; sie hatte es erreicht. Wenigstens beinahe, denn einmal nach Mitternacht, als ich von ihr geträumt hatte, ging ich hinunter, nahm sie aus den warmen Kissen, wo sie sich eingenistet hatte, und trug sie in den nächtlichen Garten hinaus, nicht ohne mich vergewissert zu haben über die Verheilung ihrer Wunde. Alles begann von vorne; sie hockte wieder vor der Scheibe und fauchte. Ich wurde mit diesem Tier nicht fertig – Mein Verteidiger lächelt:
»Aber sonst, meine ich, lebten Sie allein.«
»Nein«, sage ich, »mit Helen.«
»Wer ist Helen?«
»Eine Frau!« sage ich ärgerlich über sein Geschick, mich stets in Nebensachen zu verwickeln, und über seinen Eversharp, womit er sofort den Namen notiert.
»Sprechen Sie ganz offen«, sagt er, und nachdem ich ihn mit einer ziemlich wilden Weibergeschichte bedient habe, versichert er, »– selbstverständlich bleiben diese Dinge ganz vertraulich, jedenfalls werde ich gegenüber Frau Stiller kein Wort davon sagen.«
Hoffentlich plaudert er doch!
Bibel gelesen.
(Der ungehörige Traum von der Konfrontation mit Frau Julika Stiller-Tschudy: – sehe von außen durchs Fenster, wie ein jüngerer Mann, vermutlich der Verschollene, zwischen den Tischlein geht, die flachen Hände erhoben, um die hellroten Flecken zu zeigen, und sozusagen mit Stigma hausiert, was ihm niemand abnimmt, Peinlichkeit, ich selbst stehe
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