Stiller
können, ohne um ihn bangen zu müssen, oder sollte sie Foxli gar in die fremden Gassen lassen, nur um sich von Stiller einmal mehr zeigen zu lassen, daß seine schöpferische Arbeit, wie er ja immer klagte, einfach nicht vorwärtsging? Stiller scheint wirklich der Inbegriff einer männlichen Mimose gewesen zu sein. Daß er über Jahre seinerseits in ihre Ballett-Proben kam, wo er skizzieren durfte, war doch für ihn selber nur ein Gewinn. Was aber, einmal sachlich gesprochen, hatte Julika davon, in seinem meistens staubigen Atelier herumzustehen, wo er jahrelang ungefähr am Gleichen arbeitete, und sich möglicherweise noch in seinem Atelier zu erkälten? In seiner Ich-Bezogenheit verschloß er sich einfach vor allen solchen Erwägungen. Was erwartete er nur immer von Julika? Seine Gekränktheit, wie höflich er sie auch verschwieg, war eine Last für die arme Julika. Daß sie, die Balletteuse, bei den zahllosen Gesprächen über Bildhauerei, die Stiller mit seinen Genossen oft in alle Nacht hinein führte, nie ein Wort redete, machte ihn traurig; er deutete es als Mangel an Teilnahme, kam nie auch nur auf den Gedanken, daß es von Julika, die nun einmal nichts von Bildhauerei verstand, eine nur natürliche Bescheidenheit war, ganz zu schweigen von ihrer nun einmal sehr verhaltenen und scheuen Art überhaupt. Waren seine Genossen endlich gegangen, wurde er auch noch grob:Wenigstens eine Mehlsuppe hättest du machen können, sagte er grämlich, wenigstens das! Julika dachte ja nicht daran, seine Dienerin zu werden. Und von dem Tage an, da die andere auftauchte, war sein Einfühlungsvermögen vollends erschöpft; sage und schreibe: Stiller war entrüstet, daß Julika in ihrer Veranda nicht ihn vermißte, sondern Foxli, und allen Ernstes verwundert, daß Julika, die Kranke und Verlassene, von Davos aus keine zärtlichen Briefe schrieb, es ist wahr, eigentlich überhaupt keine, ausgenommen ein Zettelchen, womit Stiller in der Stadt etwas besorgen mußte; Julika konnte doch einfach nicht schreiben! Und als er später, im Laufe jenes Sommers, seinerseits wochenlang nicht mehr schrieb, scheute er sich nicht, jeder Einfühlung bar, vor der billigen Ausrede, Julika hätte ihm ja auch nie geschrieben ...
Usw.
Ich habe kein Verlangen danach, den Friedensrichter zu spielen zwischen der schönen Julika und ihrem verschollenen Mann; da sie jedoch jedesmal von diesen leidigen Zeiten redet, versucht man natürlich, Zusammenhänge zu erraten, und wäre es auch nur zur Unterhaltung, so wie man etwa Kreuzworträtsel ausfüllt. Was soll ich in meiner Zelle sonst tun! ... Schwierig zu erraten, jedoch unerläßlich, um das Kreuzworträtsel mit dem verschollenen Stiller ausfüllen zu können, ist ein kleiner Ausspruch der schönen Julika, der weit zurückliegen muß. Sie nennt ihn nicht. Ein durchaus argloser Ausspruch. Ein belangloser Ausspruch. Und doch, höre ich, konnte Stiller ihn nie verwinden, eigentlich immer weniger. Irgendwie muß es mit diesem kleinen, geradezu winzigen und von Julika längst vergessenen Ausspruch zusammenhängen, daß Stiller sich als ein stinkiger Fischer mit einer kristallenen Fee vorkam. Der Ausspruch fiel in ihrer ersten gemeinsamen Nacht. Offenbar war Stiller nicht nur eine Mimose, ein Mann von krankhafter Ich-Bezogenheit und entsprechender Empfindlichkeit, so daß er Worte, die Julika möglicherweise jedem Mann hätte sagen können, ganz und gar auf sich bezog; er war obendrein auch noch ein Wiederkäuer, und das war für die arme Julika oft einfach unerträglich. Plötzlich, nach Jahr und Tag, stieß ihm eine solche Bagatelle wieder auf! Und dabei hatte Julika ihrerseits, wie sie versichert, jenen kleinen Ausspruch in der ersten Nacht schon längst wieder vergessen. Stiller kam einfach nicht darüber hinweg, er trug diese paar Worte wie ein Kainsmal hinter seiner Stirne, und da half es wenig, daß Julika, zärtlich vor allen Leuten, ihm seine immer etwas unordentlichen Haare aus der Stirn strich. Julika warrührend zu ihm. Und vermutlich hatte sie damals nur ausgesprochen, was manches Mädchen, zum erstenmal von einem Mann umarmt, unter anderem empfinden mag. Stiller mußte es doch begreifen. Er begriff es auch. Es quälte ihn offenbar nur, daß es das einzige blieb, was die geliebte Julika ihm nach der ersten Umarmung hatte sagen können. Plötzlich, nach Jahr und Tag, steigerte er sich in so eine vergangene Sache hinein; man sah es dann seinen Augen an, wie es in ihm bohrte, wie seine Seele sich
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