Stille(r)s Schicksal
Flughafen abzuholen brauchte. Und jetzt bereute sie es fast.
"Menschenskind, in diesem kleinen Vorkommnis versteht man ja das eigene Wort nicht!" Sie hatte es lachend geschrien, wohl wissend, das ihr Schweigen nicht allein von dem hohen Geräuschpegel des Autos verursacht worden war.
"Wieso", konterte er, "du hast ja noch gar nicht versucht, viele Worte zu sprechen." Sven machte keinen Hehl daraus, dass ihm das seltsam vorkam. Aber dann fragte er schnell, wohl fürchtend, das Gespräch könne gleich wieder abebben: "Hast du denn ein besseres Auto?"
Bestimmt nicht, dachte er, denn dann hätte sie sich ja nicht zum Flugplatz fahren lassen müssen. Doch dann wurde er eines Besseren belehrt.
"Hm, naja, zumindest fahre ich einen Polo. Hat auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, aber er rollt noch prima."
"Na sowas, hast du mir ja noch gar nicht erzählt, dass du stolze Besitzerin eines Westautos bist. Wieso bist du denn dann mit diesem bärtigen Knispel gekommen?"
Sven konnte den Fotografen anscheinend noch immer nicht leiden, obwohl Anne doch keine Gelegenheit ausgelassen hatte, ihm von den Vorzügen und Besonderheiten des Mannes vorzuschwärmen.
"Wann hätte ich dir denn von meinem Westwagen erzählen sollen? Du hattest doch immer nur andere Sachen im Kopf", versuchte sich Anne betont lautstark zu rechtfertigen. Gleichzeitig schämte sie sich, dass sie ihn nicht mehr ernst nahm. Warum das so war, konnte sie sich selbst nicht erklären.
Doch Sven brauchte gar keine Erklärung, er hatte das Gekünstelte an ihrer Bemerkung sowieso nicht bemerkt. Im Gegenteil, er schien sich zu amüsieren, lachte und zupfte sich bezeichnend an der Nase.
Sie hob und senkte die Schultern, hob zum Sprechen an, erwiderte dann aber doch nichts. Er hielt ihr Schweigen für Zustimmung.
"Du kannst doch heute schon mal mit zu meinen Eltern kommen, dann stellen wir das gleich klar, dass wir zusammen in mein Häuschen nach Wiesenberg ziehen", schlug Sven mutig vor.
Doch da hatte er wohl die Rechnung ohne Anne gemacht.
Sie wolle sich auf keinen Fall schon "bei seinen Eltern vorstellen", erklärte sie ihm mit leicht spöttischem Unterton. Und in absehbarer Zeit mit ihm zusammenzuziehen, das käme sowieso nicht in Frage. Zugegeben, räumte sie im Stillen ein, wir hatten zwar schon einmal kurz über diese Möglichkeit gesprochen, aber das war unter der Sonne von Teneriffa. Hier, auf der verregneten Betonstraße von Blocksdorf nach Klarwasser lagen die Dinge anders.
Die rosarote Brille hatte sie ganz bewusst auf der Insel zurückgelassen. Sie wollte sich der Realität stellen - und erwartete das eigentlich auch von Sven. Doch so oft sie auf der Fahrt auch angesetzt hatte, ihm den Unterschied zwischen schillernden Urlaubsträumen und Alltag klar zu machen, er wollte davon nichts hören. Vielleicht hatte sie ihre Worte zu vorsichtig gewählt? Schließlich wollte sie ihn ja auch nicht verletzen?
Sie hatte mit ihm geredet wie mit einem kleinen Jungen, dem sie sein Lieblingsspielzeug ausreden musste, weil es für ihn gefährlich war. Doch ihre Worte wurden entweder vom Fahrgeräusch verschluckt oder waren an seinem unerschütterlichen Optimismus abgeprallt. So hatte sich ein schmerzliches Schweigen zwischen ihnen ausgebreitet, nur ab und zu unterbrochen von diesem . oberflächlichem Geplänkel.
Einmal noch, nahm sie sich vor und spürte im nächsten Moment wieder das Ziehen im Bauch. Trotzdem. Wenigstens einmal noch wollte sie versuchen ihm ihre Angst zu erklären:
"Weiß ich denn, ob wir beide im Alltag klarkommen würden? Und weißt du denn, ob wir hier, in Deutschland, überhaupt zusammen leben könnten?"
Heftiger als vorgehabt, hatte sie die Worte ausgestoßen, ihn aber auch gleich um Verzeihung gebeten wegen ihres Tons, nicht wegen der Bedenken selbst. Schließlich müsse jeder seiner Arbeit nachgehen, redete sie gleich weiter, Überstunden bei beiden eingeschlossen, da sei keine Zeit für Träume, für Familienleben mit Sonntagsausflügen, schon gar nicht für Kinder.
Sven fröstelte immer mehr, je länger und lauter sie sprach. Weshalb hatte er sich nur so sehr gewünscht, sie möge ihr Schweigen beenden und mit ihm sprechen?
Dann sollte sie schon lieber den Mund halten als so einen Unsinn von sich zu geben, für ihn würde jedenfalls die Familie immer wichtiger sein als die Überstunden für die Firma. Na und, dachte er trotzig und ohne sich über die weiteren Folgen im Klaren zu sein, sollen sie mich doch rausschmeißen
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