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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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so aufgefallen. Heute störte es ihn besonders, dass ihre Vorwürfe ihn schon ansprangen, noch ehe sie sich überhaupt zu Gesicht bekommen oder begrüßt hatten. Doch er ließ sich nichts anmerken, stellte die Tasche ab und ging auf sie zu. Herzlich umarmte er seine Margot, wie er die Mutter im Stillen nannte und drückte ihr auch noch einen Kuß auf die Wange.
    "Tach, Mutter, schön dich zu sehen! Wieso soll ich im Stau gestanden haben? So ein betagter Trabant braucht eben seine Zeit von der Landeshauptstadt bis hierher. Wo ist denn Vater?"
    Sven schaute sich suchend um. Die Küchentür stand offen, aber Vaters angestammter Fensterplatz war leer. Auch gut, dachte er erleichtert.
    "Vater ist doch auf Spätschicht" kam es nun vorwurfsvoll von der Mutter.
    Mein Gott
, dachte Sven,
soll ich etwa den gesamten Schichtplan im Kopf haben?
Er erinnerte sich, dass sie als Kinder die Spätschichten des Vaters immer als die sogenannten Freiheitsschichten begrüßt hatten, seine Schwester und er. Dazu hatten sie ein Indianergeheul angestimmt, die wenigen Stunden ausgefüllt mit wilden Rangeleien und befreitem Lachen. Wie oft wurde das Bett zum Trampolin - Spätschicht!
    Doch Margot wusste nichts von seinem inneren Ausflug in die Kindertage. Um so besser, denn manchmal hatten ihr ihre eigenen Spätschichten im Wochenheim schon ein schlechtes Gewissen gemacht, weil ihre Kinder sich dann selbst überlassen waren. Sie konnte ja ahnen nicht, wie glücklich Bruder und Schwester in ihrer Zweisamkeit sein konnten.
    Mitten in Svens Gedanken prasselten ihre Worte wie Hagelkörner: "Wir müssen ja froh sein, wenn Vater überhaupt noch auf Arbeit gehen kann. Ich würde auch noch gern arbeiten, aber das Kinderheim gibt es ja nicht mehr. Bald ist es bei Vater aber auch vorbei, der Vorruhestand lauert schon. Übrigens, hast du Hunger? Ich könnte dir schnell ein paar Eier braten. Was meinst du?"
    Sie hatte hastig gesprochen, Sven wusste, dass sie besorgt war um ihn, aber er wusste auch, dass sie ihm diese übertriebene Fürsorge eines Tages wieder vorhalten würde.
    "Ach Mutter", sagte er deshalb, "mach dir man keine Umstände, ich brauche jetzt einen Kaffee und vielleicht ein Stück Kuchen. Aber ich mach mir das alles selbst zurecht. Du weißt doch, ich bin schon groß."
    Margot Stiller schalt sich selbst oft, dass sie es sich einfach nicht abgewöhnen konnte, ihre Kinder so zu bemuttern, wenn sie schon mal Zeit hatte. Wollte sie damit ihr schlechtes Gewissen beruhigen? Einen Ausgleich schaffen für die Zeit, die sie ihnen als Kinder oft vorenthalten hatte? Ihre Tochter hatte, noch ehe sie richtig erwachsen war, die schützenden und gleichzeitig einengenden Flügel der Mutterglucke einfach beiseite geschoben, frühzeitig geheiratet und war weg gezogen. Nun wohnte sie an der Küste.
    Margot bemerkte es schon manchmal, dass sich vor allem ihr Sohn, der inzwischen auf die dreißig zuging, von ihr zu sehr vereinnahmt fühlte, aber sie konnte trotzdem nicht über ihren Schatten springen.
    "Na gut", sagte sie, "ich möchte aber nichts, den Kaffee vertrage ich nicht mehr. Und Kuchen zu essen, habe ich mir schon lange abgewöhnt", seufzte sie mit einem deutlichen Blick auf ihre Leibesfülle, insgeheim auf beschwichtigenden Protest von ihrem Sohn hoffend. Aber der tat ihr diesmal nicht den Gefallen. Er schien mit seinen Gedanken wieder einmal ganz weit weg zu sein. Das gefiel ihr nun auch wieder nicht, also zwängte sie sich mit vorwurfsvollem Blick hinter den Tisch und ließ sich ächzend auf die Sitzbank fallen.
    "Aber ich setze ich mich ein bisschen mit zu dir", versuchte sie es nun wieder auf die sanfte Tour, nickte ihm blinzelnd zu. Sven konnte sehen, wie die Neugier in ihr brodelte.
    "Du hast doch bestimmt eine Menge zu erzählen. Wie war es denn, hast du jemanden kennengelernt? Und wie waren das Wetter und das Essen? Und konntest du denn dort auch surfen wie auf dem Halbendorfer See? Ach übrigens, der Bürgermeister von Wiesenberg hat auch angerufen, du sollst dich mal wieder bei ihm und vor allem auf deinem Anwesen sehen lassen. Anscheinend wollen die, dass du endlich dein Haus weiter ausbaust. Es hat wohl Beschwerden von den Nachbarn gegeben, weil es dort angeblich so liederlich aussieht. Na, ist ja auch richtig, das verfällt doch immer mehr. Ist wirklich eine Schande, dass du dich so wenig darum kümmerst."
    Sie hatte wieder dieses Wort gesagt, das ihm so zuwider war. Anwesen! So ein trauriges, kleines, schiefes Häuschen auf einem

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