Stille(r)s Schicksal
aufzurichten.
Der Brief erwies sich als eine vorgedruckte Karte, deren Text sie aufforderte, schnellstmöglich erneut in der Sprechstunde zu erscheinen. Handschriftlich stand unter der knappen Mitteilung: "Bitte kommen Sie so schnell wie möglich, wir müssen Ihren Bluttest wiederholen … Mit freundlichen Grüßen …"
Wie eine gute Nachricht las sich das nicht, aber Anne wollte sich auch keine unnötigen Sorgen machen. Sie schaute auf das Datum, die Karte war schon vor einer Woche datiert worden. Komisch, dachte sie, hatte ich Frau Dr. Dunkel nicht erzählt, dass ich mehrere Wochen auf Teneriffa bleiben würde?
So schnell wie möglich! Wie stellte sie sich das vor? Gut, überlegte Anne, vielleicht am Dienstag, morgen muss ich erst mal meine Doppelschicht absolvieren, Wohl war ihr nicht bei dem Gedanken. Die restliche Post schob sie beiseite. Beim flüchtigen Durchblättern hatte sie nichts Wichtiges ausmachen können.
Gerade in dem Moment, als sie sich vornahm, Sven anzurufen, klingelte auch schon das Telefon. Erwartungsvoll nahm sie den Hörer ab, aber es war nicht Sven. Es war ihre Kollegin.
"Anne, hat dir der Chef schon gesagt, dass du morgen zur Frühschicht kommen sollst? Ich muss mit meiner Kleinen zum Arzt. War dein Urlaub schön? Wann warst du denn wieder zu Hause?"
"Ja, der Chef hat auf den Anrufbeantworter gesprochen, das geht schon in Ordnung. Und der Urlaub? Wir sind erst vor etwa zwei Stunden hier angekommen …"
"Wir? Nanu, wer ist denn wir?"
"Eine nette Urlaubsbekanntschaft, ich erzähle es dir ein anderes Mal, ja? Der Urlaub war übrigens spitze. Vom ersten Eindruck, den Teneriffa auf mich gemacht hat, zwar nicht so, aber dann haben wir doch noch so viel Schönes Interessantes erlebt und gesehen, wirklich unvergesslich."
"Mein Gott, Mädel, du schwärmst ja richtig. Sollte es sich wirklich nur um eine nette Urlaubsbekanntschaft handeln?" fragte ihre erheblich ältere Kollegin mit zweideutigem Unterton. Doch Anne hatte nicht vor, auf die Anspielung in irgend einer Weise zu reagieren.
"Na gut, dann ruhe dich noch ein bisschen aus, morgen geht der Ernst des Lebens wieder los."
Die Worte klangen freundlich und herzlich. Das tat ihr gut.
"Ja, danke für den Hinweis, aber ich hatte lange genug Ruhe, komme eigentlich ganz gern wieder zur Arbeit", sagte sie mit einem leisen Lachen, und beide wussten, dass es die Wahrheit war.
Zusammenbruch nach der Doppelschicht
Als sich am Montag in der Redaktion der Feierabend näherte, war es spät. Auf den Frühdienst, den sie für ihre Kollegin übernommen hatte, folgte ihr eigener Spätdienst. Anne wand sich seit Stunden vor Schmerzen.
Selbst nach dem dritten Zäpfchen war keine große Linderung eingetreten. Sie schaute angespannt auf den Bildschirm und versuchte, alles gewissenhaft zu erfassen, was noch an Manuskripten auf ihrem Schreibtisch lag. Es waren noch einige Sportberichte vom Wochenende gekommen, die mussten unbedingt noch am Dienstag ins Blatt. Also biß Anne die Zähne zusammen und schrieb weiter, mit flinken Fingern und steifen Schultern, aber ohne Konzentration.
"Frau Hellwig, sind Sie eigentlich mit Ihren Gedanken schon wieder hier oder noch auf Teneriffa?", kam es brummig aus dem Zimmer des Chefs. Die Tür stand halb offen.
"Wieso? Habe ich etwas übersehen?" Sie musste alle Kraft aufbieten, um ihre Stimme freundlich klingen zu lassen.
"Etwas übersehen?"
Biesold schien immer ärgerlicher zu werden.
"Hier fehlen ganze Absätze! Etwas mehr Sorgfalt, wenn ich bitten darf!"
Anne kannte diesen gereizten Ton, hatte sogar Verständnis, denn es war Montag, und der Chef war bestimmt erst wieder in der Nacht aus dem Frankenwald, wo seine Familie lebte, zurückgekommen. Ohne ein weiteres Wort holte sie sich die Manuskripte aus seinem Zimmer und verglich sie mit dem, was sie geschrieben hatte. Beschämt stellte sie fest, dass tatsächlich viele Zeilen fehlten. Diesmal hatte es aber nichts damit zu tun, dass sie bei Sportberichten sowieso meistens etwas weg ließ, weil sie glaubte, dass man es nicht auf mehr als zwanzig Zeilen ausdehnen müsse, wenn der Ball nichts weiter tat, als von hinten rechts nach vorn links zu rollen. So etwas würden die Redakteure beim Bearbeiten des Textes sowieso löschen. Inzwischen hatten sich die Redakteure auch an die Eigenmächtigkeit ihrer Sekretärin gewöhnt und waren sogar froh, dass sie solche langatmigen Passagen gar nicht erst mit abschrieb.
Aber was jetzt zutage trat, war einfach schlampige
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