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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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jenen unbekannten Chef, nicht aber für seinen Sohn.
    Sven fühlte sich wieder unbeholfen und unsicher, es kam ihm jetzt selbst albern vor, dass er auf Verständnis gehofft hatte, wenn er nur mit seiner Geheimniskrämerei aufhörte. Er ließ sein Kinn auf die Brust sinken.
    "Aber die Kleine kann ja tatsächlich krank sein", mischte sich nun endlich auch die Mutter ein, sie hatte es einfach nicht mehr ausgehalten, stumm aus dem Fenster zu schauen, und so zu tun, als könnte sie es gut abwarten, bis ihr Sohn ganz und gar mit der Sprache herausrückte.
    "Vielleicht rufst du einfach mal im Krankenhaus an? Na, wie schmeckt dir der Kirschkuchen?"
    Sven ging es gehörig auf die Nerven, wenn seine Mutter immer so schnell das Thema wechselte. Da ging es ihm offenbar nicht anders als seinem Vater. Aber der Hinweis auf das Krankenhaus war nicht von der Hand zu weisen. Das würde er gleich nachher versuchen. Im Stillen ärgerte er sich, wieso er nicht selbst darauf gekommen war.
    Laut sagt er: "Der Kirschkuchen? Oh doch, der schmeckt wie immer ganz lecker. Und danke auch für die anderen Tipps" murmelte er noch undeutlich, weil mit vollem Mund.
    "Zur Not kannst du ja auch noch die Polizei benachrichtigen", schlug nun, ebenfalls kauend, der Vater vor. "Aber erst würde ich mal auf Arbeit bei ihr anrufen", erinnerte er an seine erste Idee.
    "Du wirst doch nicht so dumm sein, und die sinnlosen Verbote dieser Anne schnurstracks befolgen? Das wäre nicht gut, so schnell sollte man nicht das Zepter aus der Hand geben", konnte sich der Vater nicht verkneifen zu ergänzen.
    Sven musste grinsen über die Ansichten seines Vaters. Zepter aus der Hand geben! Er hatte inzwischen so gewisse Zweifel, ob denn überhaupt unbedingt der Mann das Zepter in der Hand haben müsse. Oder überhaupt jemand? Sven dachte insgeheim daran, dass das ganze Leben ein Karren sei, den zwei Leute gemeinsam ziehen, und nicht, dass nur einer zieht und der andere sich in aller Ruhe draufsetzt und sich ziehen lässt. Das hatte ihn bei seiner Ex zur Weißglut gebracht. Auch bei seinen Eltern hatte er das öfter beobachtet, aber das zu bewerten, war nicht sein Sache.
    Seinem Vater konnte er damit sowieso nicht kommen. Außerdem hatte Sven bei seinen Eltern das seltsame Gefühl, dass die Mutter sich zwar scheinbar den Wünschen und Befehlen ihres Mannes unterordnete, in Wahrheit aber doch immer ihren eigenen Willen durchsetzte. Sie machte das so geschickt und auf so eine sanfte Weise, dass es nicht einmal Helmut zu merken schien. Wer also zog und wer ließ sich ziehen? Schwierige Fragen.
    Dieser Eindruck hatte sich bei Sven in den letzten Jahren immer mehr verstärkt. Oder durchschaute Helmut das Spiel - sagte aber nichts, weil es so bequemer für ihn war? Wer wusste schon so genau über seine Eltern Bescheid?
    Aber warum sollte er sich darüber noch viele Gedanken machen? Er hatte schließlich eigene Sorgen genug.
    "Klar, wieso muss ich mich auch an so ein komisches Verbot halten?" stimmte Sven seinem Vater etwas verspätet zu. Schließlich war ihm dieser Gedanke vorhin selbst schon gekommen.
    Er klopfte einen Krümel vom T-Shirt, räumte das Geschirr zusammen und stand auf.
    "Ich werde am besten gleich einmal dort anrufen - und auch im Krankenhaus. Irgendwie muss ich sie ja schließlich finden."
    Sven wusste selbst nicht, woraus er seine neue Entschlossenheit schöpfte. Doch mochten seine Eltern sein wie sie wollten, heute hatten sie ihm auf jeden Fall Anteilnahme entgegengebracht. Vielleicht meinten sie es ja wirklich nur gut - und trachteten gar nicht so sehr danach, ihn endlich loszuwerden?
    Margot stand auch auf, griff nach dem zusammen gestellten Geschirr, um es in die Spüle zu stellen. Mit dem leicht vor sich hin gemurmelten Hinweis, dass gleich eine Talk-Show im Fernsehen beginne, trollte sie sich aus der Küche. Helmut nickte mit hochgezogenen Brauen und griff wie gewohnt nach seiner Zeitung. Er hatte für die Seelenentblößungen und die primitiven Streitereien im Fernsehen noch nie etwas übrig gehabt.
Soll sie sich den Quatsch doch anschauen, wenn sie will,
dachte er und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Doch so recht konnte er sich heute nicht aufs Lesen konzentrieren.
    Würde der Junge nun endlich anrufen - oder? Er kniff den Mund zusammen und schaute prüfend über den Zeitungsrand.
    Sven verstand zwar diese unausgesprochene Aufforderung, aber es war schon fast fünf Uhr. Sollte er da noch bei der Zeitung anrufen? Dann fiel ihm ein, dass Anne ihm ja

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