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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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öfters von den späten Anfangs- und Feierabendzeiten erzählt hatte. Es war also vermutlich doch noch jemand da.
    Sein Mut schien mit jedem Schritt in Richtung Telefon zu schrumpfen. Er hatte ja auch gar keine Nummer. Alles Ausflüchte, schalt er sich innerlich, drehte sich widerwillig zu seinem Vater um.
    "Kannst du mal nach der Nummer gucken?" Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals.
    Der Vater blätterte tatsächlich gleich bis zum Impressum zurück, als hätte er nur auf diese Aufforderung gewartet. Dass das kleine Kästchen mit der Anschrift, den Telefon- und Faxnummern, den Namen der Redakteure und so weiter Impressum heißt, hatte ihm sein alter Kollege Bernd Schaller erklärt, der hatte früher einmal in einer Druckerei gearbeitet.
    "Ja, hier steht die Nummer im Impressum."
    Helmut Stiller konnte es sich nicht verkneifen, vor seinem Sohn ein bisschen mit seinem
Insider-Wissen
anzugeben. Sven hatte das Wort tatsächlich noch nie zuvor gehört und war beeindruckt.
    "Hast du einen Stift?", fragte der Vater, "dann schreib mal auf: Zwanzig, fünfundsiebzig, fünfzig." Na endlich rührt sich der Herr mal, dachte Helmut, einigermaßen zufriedengestellt.
    Schnell hatte Sven die Nummer notiert, das Wählen ging ihm nicht so schnell von der Hand, denn seine Finger zitterten heftig. Jetzt hörte er das Rufzeichen, am liebsten hätte er einfach wieder aufgelegt. Doch da nahm schon jemand ab.
    "Stadtanzeiger, Bader, Guten Tag!", hörte Sven am anderen Ende der Leitung. Aber er wusste ganz genau, dass sich das Zittern nicht wegen dieser jungen, hellen Stimme noch verstärkte. Sein Herzklopfen breitete sich im ganzen Körper aus, er glaubte, es sogar unter der Schädeldecke und in den Beinen zu spüren. Mein Gott, durchfuhr es ihn, was wäre gewesen, wenn sich jetzt Anne gemeldet hätte? Er schluckte vor Aufregung.
    Doch dann hatte er sich wieder im Griff und sagte schnell: "Guten Tag! Stiller hier, Sven Stiller, könnte ich wohl Anne Hellwig sprechen?"
    Na also, klappt doch, dachte sein Vater und tat so, als lese er aufmerksam eben diesen Stadtanzeiger. Schon wieder eine ganze Seite Eishockey, und dann dieser ausgewalzte Lokalsport. Helmut blätterte ärgerlich um.
    Sven presste unterdessen den Telefonhörer so heftig an sein Ohr, dass der Knorpel schmerzte und der Rand sich tief rot färbte.
    "Oh, Herr Stiller, tut mir leid, Frau Hellwig ist leider nicht im Hause."
    Wie er diese übertrieben freundliche Stimme plötzlich hasste! Hatte er es nicht geahnt? Anne war gar nicht auf Arbeit!
    Aufgebracht schrie er in die Muschel: "Aber wo ist sie denn, ich versuche seit Wochen vergeblich, sie zu erreichen. . . zu Hause ist sie auch nicht. . .sie kann doch nicht vom Erdboden verschluckt sein?"
    Seine Verzweiflung machte anscheinend wenig Eindruck auf diese komische Bader, denn sie antwortete monoton und kühl: "Frau Hellwig ist leider erkrankt."
     
    Silke Bader sah Anne wieder auf dem Teppichboden liegen, ihr fiel die Aufregung ein, die sie mit ihrer plötzlichen Ohnmacht in der Redaktion verursacht hatte. Aber sie, Silke Bader, hatte immerhin einen klaren Kopf behalten, sofort die Rettungsleitstelle angerufen. Doch was ging das alles diesen jungen Mann an? Sie kannten keinen Stieler. "Erkrankt", das war genau die richtige Auskunft, wer war denn der überhaupt? Ein ziemlich ungehobelter Klotz jedenfalls.
    Da schrie er auch schon wieder: "Aber dann wäre sie doch zu Hause, verdammt!"
    Sven war den Tränen nahe. War Anne so krank, dass sie nicht einmal ans Telefon oder bis zur Sprechanlage gehen konnte?
    "Nein, Herr Stieler, sie ist nicht zu Hause", hörte er nun wieder die Zeitungstante.
    "Stiller, Stil-ler, berichtigte er sie, "nicht Stieler! Mit zwei Ell, nicht mit i-e. Wo ist sie also?"
    Sven staunte selbst über seinen resoluten Ton, der die Bader immerhin mehr zu beeindrucken schien als seine Verzweiflung.
    "Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen darf, ich frage sicherheitshalber erst einmal den Chef", erwiderte sie kleinlaut. War er ein Freund oder so? Stieler? Stieler? Von dem hatte Anne doch noch nie was erzählt. . .
    "Sind Sie ein Freund?"
    Sven konnte sich nur schwer beherrschen, aber schließlich gelang es ihm doch.
    "Aber natürlich, ein Freund, Sven Stiller. Hat denn Anne niemals etwas von mir erzählt?"
    Das klang wohl glaubhaft. Er hatte diesmal absichtlich Anne gesagt, um dem Gespräch einen vertraulichen Anstrich zu geben.
    Doch Frau Bader entgegnete trotzdem spitz: "Sie war ja nach ihrem Urlaub nur einen einzigen

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