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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zufrieden. »Jetzt erkenn ich Sie auch, Madam. Sie sind die bemerkenswerte junge Dame, die im Fall Rostova entscheidende Beweise beigebracht hat. Sie waren doch auf der Krim, nicht wahr? Ganz außerordentlich! Wie die Welt sich doch verändert. Nicht, daß ich besonders erpicht auf den Wandel wäre, aber ich habe da wohl keine Wahl. Man muß das Beste daraus machen, wie?«
    Instinktiv hätte Hester unverzüglich nachgehakt und ihn gefragt, was er meinte. Mißfiel es ihm, daß Frauen die Gelegenheit bekamen, einen solchen Beitrag zu leisten, wie Florence Nightingale es getan hatte? Daß sie ein Stück Freiheit für sich eroberten? Daß sie ihr Wissen, ihre Autorität und die damit verbundene Macht nutzten, und sei es auch nur vorübergehend? Eine solche Einstellung machte sie wütend.
    So etwas war antiquiert, blind und verwurzelt in Privilegien und Ignoranz. Es war schlimmer als ungerecht, es war gefährlich. Es war genau die Art verblendeter Dummheit, die im Krimkrieg untauglichen Männern das Kommando in die Hand gelegt und zahllose Menschen das Leben gekostet hatte.
    Hester holte bereits Luft, um ihre Attacke zu beginnen, als ihr bewußt wurde, wo sie sich befand. Rathbone stand dicht neben ihr; er berührte sogar ihren Ellbogen. Mit einem leisen Seufzen atmete sie tief durch. Ein solches Verhalten ihrerseits wäre ihm furchtbar peinlich gewesen, auch wenn er teilweise ihrer Meinung war.
    »Ich fürchte, in dieser Situation sind wir alle, Sir«, antwortete sie freundlich. »Es gibt viele Dinge, die mir ganz und gar nicht gefallen, aber ich habe bisher noch keine Möglichkeit gefunden, etwas daran zu ändern.«
    »Was gewiß nicht auf mangelnde Initiative zurückzuführen ist!« bemerkte Rathbone trocken, nachdem sie Richter Charles einen guten Abend gewünscht hatten und ein paar Schritte weitergegangen waren. »Sie waren ausgesprochen taktvoll mit ihm! Ich habe fest damit gerechnet, daß Sie ihm wegen seiner altmodischen Ansichten gründlich die Leviten lesen würden.«
    »Glauben Sie, er hätte seine Meinung auch nur um ein Jota geändert?« fragte sie und sah ihn mit großen Augen an.
    »Nein, meine Liebe, das glaube ich nicht«, antwortete Rathbone mit einem Lächeln. »Aber ich habe noch nie zuvor erlebt, daß solche Bedenken Sie aufgehalten hätten.«
    »Dann verändert die Welt sich vielleicht wirklich?« meinte sie.
    »Bitte lassen Sie nicht zu, daß sie sich allzusehr verändert«, sagte er mit einer Sanftheit, die sie in Erstaunen setzte. »Ich weiß taktvolles Leben zu schätzen – es hat durchaus seinen Platz –, aber es würde mir nicht gefallen, wenn Sie selbst sich ändern würden. Ich mag Sie genau so, wie Sie sind.« Er strich sachte mit den Fingern über ihre Hände. »Selbst wenn es mich manchmal erschreckt. Vielleicht ist es gut, ab und zu ein wenig aufgerüttelt zu werden? Man wird sonst vielleicht zu selbstzufrieden.«
    »Ich habe Sie nie für selbstzufrieden gehalten!«
    »Doch, das haben Sie durchaus. Aber ich versichere Ihnen, wenn Sie mir in der jetzigen Situation Selbstzufriedenheit unterstellen würden, lägen Sie vollkommen falsch. Ich habe mich noch nie in meinem Leben weniger wohlgefühlt oder weniger selbstsicher.«
    Plötzlich war auch sie verunsichert. In ihrer Verwirrung mußte sie an Monk denken. Sie mochte Rathbone sehr, er hatte etwas an sich, das unschätzbar war. Monk war ein schwieriger Mensch, unnachgiebig, bisweilen despotisch und kalt. Aber sie konnte sich nicht von ihm abwenden. Sie wollte nicht, daß Rathbone irgend etwas sagte, das eine Entscheidung von ihr forderte.
    Ihr Herz schlug wieder langsamer. Sie lächelte und hob die Hand, um Rathbone über die Wange zu streichen.
    »Dann lassen Sie uns das Gestern und das Morgen vergessen und einfach das Wissen genießen, daß dieser Abend eine Insel der Freundschaft und eines Vertrauens ist, an dem nicht der geringste Zweifel bestehen kann. Ich habe auch keine Ahnung, worum es bei dem Stück geht, aber da das Publikum alle paar Sekunden lacht, muß es wohl so witzig sein, wie die Kritiker behaupten.«
    Er holte tief Atem und erwiderte ihr Lächeln. Seine Züge entspannten sich plötzlich. Er beugte sich vor, nahm ihre Hand, die an seiner Wange ruhte, und führte sie an die Lippen.
    Als Dr. Wade am nächsten Tag vorbeikam, befand er sich in Begleitung seiner Schwester Eglantyne, die Sylvestra mit derselben Anteilnahme begegnete wie zuvor. Die beiden Frauen verband eine Art stillschweigenden Verständnisses, das Hester

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