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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Corriden? Warum hat er sich so furchtbar verändert?«
    Wage zögerte. Er blickte zu seiner Schwester hinüber, holte dann Atem, als wolle er antworten, und schwieg schließlich doch.
    »Warum?« fragte Sylvestra, lauter diesmal.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er hilflos. »Ich weiß es nicht, und, meine liebe Freundin, Sie müssen sich darauf gefaßt machen, daß wir es vielleicht niemals erfahren werden. Vielleicht wird er sich nur dann erholen, wenn er alles Geschehene vollkommen vergessen kann und das Leben noch einmal ganz von vorne beginnt. Möglicherweise wird es mit der Zeit tatsächlich so kommen.« Er drehte sich zu Hester um und sah sie fragend an.
    Hester konnte nicht antworten. Alle Blicke ruhten auf ihr, als erwarteten die drei anderen Menschen im Raum, daß sie ihnen irgendeine Hoffnung würde anbieten können. Sie wünschte sich so sehr, ihnen helfen zu können, aber andererseits – wenn sich ihre Zuversicht als irrig erwies, wieviel schwerer würde es dann erst für sie sein? Oder zählte im Augenblick nichts als die Notwendigkeit, den heutigen Abend und den morgigen Tag zu überstehen? Immer einen Schritt nach dem anderen.
    »Das ist durchaus möglich«, gab sie dem Arzt schließlich recht. »Zeit und Vergessen könnten seinen Geist heilen, und sein Körper wird folgen.«
    Sylvestra entspannte sich und blinzelte, um gegen die Tränen zu kämpfen. Überraschenderweise schien sogar Corriden Wade angenehm berührt von Hesters Antwort zu sein.
    Hester erhob sich. »Ich muß jetzt zu ihm gehen und nachsehen, ob ich etwas für ihn tun kann. Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen?«
    Die Geschwister Wade und Sylvestra murmelten einige zustimmende Worte, und Hester verließ mit einem kurzen Abschiedswort den Raum und eilte die Treppe hinauf. Rhys lag zusammengekrümmt im Bett, die Laken waren zerwühlt, und an der Tür stand eine halb mit einem Tuch verdeckte Schale voller blutbefleckter Verbände. Rhys zitterte, obwohl er bis zur Brust zugedeckt war, und das Feuer prasselte.
    »Soll ich Ihr Bett frisch beziehen…« begann sie.
    Er starrte sie mit flammenden Augen und einem solchen Zorn an, daß sie mitten im Satz abbrach. Sein Blick war so wild, daß sie glaubte, er würde versuchen, nach ihr zu schlagen, wenn sie ihm nur nahe genug käme. Hester blieb, wo sie war, denn er durfte sich auf keinen Fall seine gebrochenen Hände weiter verletzen.
    Was war geschehen? Hatte Dr. Wade ihm erzählt wie ernst sein Zustand war? War ihm plötzlich klargeworden, daß er sich vielleicht nie wieder erholen würde? War dieser Zorn seine Art und Weise, einen Schmerz zu verbergen, den er nicht ertragen konnte? Hester hatte schon früher solchen Zorn erlebt – nur allzuoft.
    Oder hatte Dr. Wade ihm bei seiner Untersuchung weh tun müssen, um sich seine Verletzungen sorgfältiger ansehen zu können? Entsprangen die Wut in seinen Augen und die Tränenflecken auf seinen Wangen unerträglichem Schmerz und der Demütigung, nicht in der Lage gewesen zu sein, seiner Idealvorstellung von Tapferkeit gerecht zu werden?
    Wie konnte sie Rhys nur helfen?
    Vielleicht war überflüssiges Getue im Augenblick das letzte, was er wollte. Möglicherweise waren sogar ein zerwühltes Bett und verschwitzte, blutbefleckte Laken besser als die Einmischung eines Fremden, der seinen Schmerz nicht teilen konnte.
    »Wenn Sie mich brauchen, werfen Sie die Glocke um«, sagte sie leise und sah sich um, um sicherzugehen, daß die Glocke in seiner Reichweite stand. Aber die Glocke war nicht da. Hester ließ ihren Blick durchs Zimmer wandern, bis sie die Glocke schließlich auf der Kommode entdeckte. Wahrscheinlich hatte Dr. Wade sie weggestellt, weil er den Nachttisch für seine Instrumente oder die Schale benutzen wollte. Sie stellte die Glocke wieder an ihren gewohnten Platz. »Ganz gleich, wie spät es ist«, sagte sie. »Ich werde kommen.«
    Rhys starrte sie an. Er war immer noch wütend, immer noch gefangen in seinem Schweigen. Tränen sprangen ihm aus den Augen, und er wandte sich von ihr ab.

8
    Monk ging rasch die Brick Lane hinunter. Er mußte noch einmal mit Vida Hopgood sprechen, bevor er den Fall weiter verfolgte. Sie hatte das Recht, von Runcorns Weigerung zu erfahren, die Polizei in diese Sache einzuschalten, und das trotz der wachsenden Beweise dafür, daß eine Reihe von zunehmend gewalttätigen Verbrechen verübt worden waren. Monk war immer noch wütend, wenn er an die Begegnung mit Runcorn dachte, um so mehr, als er sich halb und halb

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