Stilles Echo
erstbeste Wirtshaus zu. Er trat ein, setzte sich an einen der Tische, und wenige Minuten später wurde ein Becher Bier vor ihn hingestellt. Überall um ihn herum brandeten Stimmengewirr, Rufe und Gelächter auf, Menschen drängten sich zusammen, taumelten und benutzten die Ellbogen, um sich ihren Weg zu bahnen, während andere einander laute Grußworte oder freundschaftliche Neckereien zuriefen. Hier und da bekam Monk Bruchstücke von Gerüchten und Neuigkeiten mit, und an manchen Tischen wurden offensichtlich Geschäfte abgeschlossen. Hier fand man Hehler gestohlener Waren, Taschendiebe, Fälscher, die auf Kundschaft aus waren, Falschspieler, Glücksritter, Zuhälter.
Er beobachtete die bunt zusammengewürfelte Menge mit einem wachsenden Gefühl der Vertrautheit, als sei er schon einmal hier oder an einem Dutzend ähnlicher Orte gewesen. Monk erinnerte sich an die Lampe, die eine Spur schief hing und ein ungleichmäßiges Licht auf das Messinggitter über der Bar warf. Die Reihe der Haken, an denen die Kunden ihre Becher aufhängten, kippte auf der einen Seite ein wenig nach unten ab.
Ein relativ kleiner Mann mit einem verkümmerten Arm sah ihn an und machte seinem Gefährten mit dem Kopf ein Zeichen, woraufhin sie beide ihre Kragen aufstellten und hinaus gingen.
Ein blonder Mann mit einem schottischen Akzent ließ sich auf den Stuhl Monk gegenüber gleiten.
»Hier gibt’s nichts für Sie zu tun, Mr. Monk. Sagen Sie mir, worauf Sie aus sind, und ich höre mich mal um. Aber Sie wissen, es wäre mir wirklich lieber, wenn Sie Ihr Bier nicht ausgerechnet in meinem Haus trinken müßten. Na schön, wir haben ab und zu mal einen Dieb hier, aber alles kleine Fische, da braucht einer wie Sie seine Zeit nicht drauf zu verschwenden.«
»Bei Mord sehe ich das anders, Jamie«, antwortete Monk sehr leise. »Und bei Vergewaltigung und gewalttätigen Angriffen auf Frauen ebenfalls.«
»Wenn Sie von den zwei Männern reden, die in der Water Lane gefunden wurden, da weiß keiner von uns, wer das gewesen ist. Wir hatten schon einen jungen Polizisten hier, der rumgefragt hat. Er hat bloß seine Zeit verschwendet, der arme Teufel. Und Constable Shotts, der hier aus der Gegend stammt, der müßte es eigentlich auch besser wissen. Aber warum sind Sie hier?« Sein breites, hübsches Gesicht war wachsam, und seine vor Jahren gebrochene und schief zusammengewachsene Nase und die großen, blauen Augen gaben ihm ein Aussehen, das seine Intelligenz Lügen strafte. »Und was hat die Sache mit Vergewaltigung zu tun?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Monk, bevor er einen weiteren Schluck von seinem Bier nahm. »Sind in den letzten ein oder zwei Monaten irgendwelche Frauen hier aus der Gegend vergewaltigt worden? Ich meine normale Frauen, Frauen, die in den Fabriken arbeiten und vielleicht ab und zu auf die Straße gehen, wenn die Dinge ein wenig klamm werden.«
»Warum? Und wenn es so wäre, was interessiert es Sie? Die Polizei schert sich doch keinen roten Heller um solche Dinge. Obwohl ich gehört habe, Sie wären gar nicht mehr bei der Polizei.« Ein Ausdruck der Belustigung huschte über seine Züge, und seine Lippen verzogen sich, als lache er ein lautloses Lachen.
»Sie haben richtig gehört«, antwortete Monk. Er war ganz sicher, daß er diesen Mann kannte. Er hatte dessen Namen ausgesprochen, ohne nachzudenken. Jamie… der Rest war ihm entglitten. Aber sie kannten einander gut, zu gut, um sich zu verstellen. Es war ein unbehaglicher Waffenstillstand, eine natürliche Feindschaft, die von gewissen gemeinsamen Interessen gedämpft wurde und von einem, wenn auch sehr dünnen, Faden des Respekts, in den sich auch ein Hauch Angst mischte. Jamie MacPherson war ein Raufbold und heißblütig; er trug einen inneren Groll mit sich herum, und er verachtete Feigheit und Selbstmitleid. Aber er stand treu zu seinesgleichen und war bei weitem zu intelligent, um grundlos zuzuschlagen oder gegen seine eigenen Interessen zu verstoßen.
Er lächelte jetzt, und seine Augen leuchteten. »Sie haben Sie rausgeschmissen, was? Runcorn. Das hätten Sie eigentlich kommen sehen müssen, Mann. Der hat lange darauf gewartet, es Ihnen heimzuzahlen.«
Monk spürte, wie ein kalter Schauer ihn durchlief. Der Mann kannte nicht nur ihn, sondern auch Runcorn, und er wußte mehr darüber, was zwischen ihnen vorgefallen war, als Monk selbst. Das Geplauder und Gelächter brandete um ihn herum wie eine aufgewühlte See, und er saß allein auf einer Insel seines
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