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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zurückkommen werden, nach allem, was einem von ihnen hier passiert ist? Glauben Sie, daß die wieder herkommen, damit Sie sie abstechen und auf irgendeinen Müllhaufen werden können? Nächstes Mal werden sie in Limehouse aufkreuzen oder auf dem Devil’s Acre oder in Bluegate Fields. Wenn wir Gerechtigkeit wollen, müssen wir auf ihrem eigenen Territorium kämpfen, und zwar mit besseren Waffen, als ihnen zu Gebote stehen. Das heißt, wir brauchen Beweise. Nicht für das Gesetz, das sich, wie Sie sagen, nicht für diese Männer interessieren wird, sondern für die Gesellschaft. Die Gesellschaft wird sich dafür interessieren.«
    »Für Prostituierte, die vergewaltigt oder verprügelt werden?« fragte Wee, und ihre brüchige Stimme war schrill vor Verachtung. »Sie müssen den Verstand verloren haben, Monk! Es hat Sie also doch erwischt!«
    »Die Damen der Gesellschaft wissen, daß ihre Männer und Söhne zu Prostituierten gehen, Wee«, erklärte er geduldig. »Es gefällt ihnen allerdings gar nicht, sich vorzustellen, daß auch andere Leute davon wissen. Ganz gewiß gefällt es ihnen nicht, ihre Töchter mit jungen Männern zu verheiraten, die Orte wie St. Giles aufsuchen, um Frauen von der Straße aufzulesen. Frauen, die Krankheiten haben könnten. Es gefällt ihnen nicht, wenn Männer aus ihren Kreisen Frauen gegenüber gewalttätig werden, extrem gewalttätig. Was die Gesellschaft weiß und was sie sich eingesteht, das kann durchaus zweierlei sein. Es gibt Dinge, die man im eigenen Heim übersehen kann, die die Öffentlichkeit jedoch niemals vergeben oder vergessen könnte.« Er betrachtete ihr faltiges Gesicht. »Sie haben ihren eigenen Ehrenkodex hier. Sie verstehen das. Sie verraten ihre Sippe nicht an andere. Das tun die feinen Leute auch nicht. Diese jungen Männer haben ihr Nest beschmutzt, und das wird man ihnen nicht verzeihen.«
    »Schnappen Sie sich diese Mistkerle, Monk«, sagte sie langsam, und zum ersten Mal hielt sie mit ihrer Arbeit inne, und das Klappern der Nadeln verstummte. »Sie sind ein schlauer Teufel, Sie werden sie für uns finden. Wir werden Sie nicht vergessen.«
    »Wo sind diese beiden Überfälle gewesen, die beiden in St. Giles?«
    »Der erste am Fisher’s Walk und der zweite in Ellicitt’s Yard.«
    »Uhrzeit?«
    »Kurz nach Mitternacht, beide Male.«
    »Daten?«
    »Drei Tage vor dem Mord in der Water Lane und in der Nacht vor Heiligabend.«
    »Vielen Dank, Wee. Sie waren mir eine große Hilfe. Sind Sie sicher, daß Sie mir die Namen nicht nennen wollen? Es würde mir helfen, wenn ich mit den Opfern selbst reden könnte.«
    »Ja, ich bin sicher.«
    Am folgenden Tag ging er zu Evan, und mit ein wenig Überredung konnte er ihm Kopien der Bilder von Rhys Duff und seinem Vater abschwatzen. Voller Neugier betrachtete er die Gesichter. Es war das erste Mal, daß er sie sah, und keiner der beiden Männer entsprach seinen bisherigen Vorstellungen. Leighton Duff hatte ausgeprägte Züge, eine kräftige, breite Nase, klare Augen, die blau oder grau und von einem inneren Leuchten waren, und vermittelte insgesamt den Eindruck scharfer Intelligenz. Rhys sah vollkommen anders aus als sein Vater, und das Gesicht des jungen Mannes verwirrte Monk. Dies war das Gesicht eines Träumers. Seine dunklen Augen lagen unter geschwungenen Brauen, seine Nase war schön geformt, wenn auch eine Spur zu lang, der Mund empfindsam, ja sogar verletzlich.
    Aber es war nur eine Zeichnung und wahrscheinlich nach dem Zwischenfall angefertigt, und der Maler hatte sich vielleicht von seinem Mitgefühl leiten lassen.
    Monk steckte beide Zeichnungen in die Tasche, bedankte sich bei Evan und machte sich in leichtem Nieselregen wieder auf den Weg nach St. Giles.
    Auf dem Fisher’s Walk fragte er Straßenhändler, Hausierer, Bettler und jeden anderen, der ihm Rede und Antwort zu stehen bereit war, ob einer der beiden Männer ihnen bekannt vorkomme.
    Er brauchte nicht lange, um jemanden zu finden, der Rhys identifizierte.
    »Ja«, sagte der Mann, kratzte sich am Kopf und schob dabei seine Mütze zur Seite. »Ja, den hab ich ein oder zweimal hier rumhängen sehen, vielleicht auch öfter. Ziemlich groß, was? Ein gutaussehener Herr. Sprach ein ordentliches Englisch wie die Leute oben im Westen. War allerdings schlecht angezogen. Ich schätze, er hatte gerade eine Pechsträhne.«
    »Schlecht angezogen?« fragte Monk schnell. »Was genau meinen Sie damit?« War es Rhys, oder war es nur jemand gewesen, der ihm ein wenig ähnlich

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