Stilles Echo
Sylvestra. »Aber…« Sie sah erst Monk, dann Evan an, der hinter Hester stand.
»Das ist nicht besonders hilfreich, Hester!« sagte Monk scharf.
Sylvestra schien verwundert zu sein. Sie bewegte die Hände, als wolle sie nach etwas greifen. Ihre Haltung und ihr Verhalten ließen ahnen, daß sie sich immer mehr einem Zustand der Hysterie näherte. In diesem Augenblick war ihre Not größer als die ihres Sohnes.
Hester stellte sich neben sie und griff nach ihren Armen.
»Heute abend können wir nichts mehr tun, aber morgen früh müssen wir Pläne machen. Rhys ist angeklagt worden, und wir müssen darauf reagieren, irgendwie. Mr. Monk ist Privatermittler. Mag sein, daß es noch mehr herauszufinden gibt, und selbstverständlich werden Sie den besten Rechtsbeistand hinzuziehen, den Sie finden können. Im Augenblick müssen Sie vor allem Ihre Kräfte sammeln. Dr. Wade wird zweifellos seine Schwester von den Ereignissen informieren, aber wenn es Ihnen die Sache erleichtert, könnte ich mit Mrs. Kynaston reden.«
»Ich… weiß nicht…« Sylvestra zitterte heftig, und Hester spürte, wie kalt ihre Haut geworden war.
Evan räusperte sich beklommen. Er hatte seine Aufgabe hier erfüllt und hätte den Schmerz dieser Frau nicht mit ansehen sollen. Seine und Monks Anwesenheit verstieß gegen jedes Feingefühl. Er sah Hester an. Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit galt Sylvestra, so daß sie ihn und Monk kaum wahrnahm.
»Hester…« Es war Monk, der sprach, auch wenn seine Stimme stockend klang.
Evan sah ihn an. Das tiefe Mitleid, das seine Züge verrieten, brachte Evan einen Augenblick lang vollkommen aus dem Gleichgewicht, bis er begriff, daß es Hester galt, nicht der Frau, die gerade einen solch vernichtenden Schlag erhalten hatte. Es war nicht nur Mitleid, was Evan sah, sondern auch eine brennende Bewunderung und eine Zärtlichkeit, die Monks ganze Abwehr Lügen strafte.
Evan wünschte sich von Herzen, Hester möge sich umdrehen und dies ebenfalls in Monks Gesicht lesen, aber die Qualen, die sie um Sylvestras willen ausstand, machten sie blind gegen alles andere.
Evan ging zur Tür. Er war schon in der Halle, als er Dr. Wade die Treppe hinunterkommen sah. Wade wirkte hager, und die Verletzung am Bein, die er sich bei seinem Unfall zugezogen hatte, äußerte sich nach wie vor in einem leichten Humpeln.
»Es ist vollkommen unmöglich, ihn zu transportieren«, sagte er, als er sich der untersten Stufe näherte. »Ob er in der Verfassung sein wird, eine Verhandlung mitzumachen, kann ich noch nicht sagen.«
»Um uns darüber eine Meinung zu bilden, werden wir mehr als einen medizinischen Experten hören müssen«, antwortete Evan. Er bemerkte Wades angespannten Gesichtsausdruck, die Dunkelheit in seinen Augen und etwas, das vielleicht sogar Angst sein mochte oder der Schatten einer Angst, die die Zukunft bringen würde.
»Sergeant…«
»Ja, Doktor?«
»Haben Sie…« Wade biß sich auf die Unterlippe. Was er sagen wollte, schien ihm ungeheuer schwerzufallen. Er rang mit sich, zauderte am Rand einer Entscheidung und fand endlich die Kraft dazu. »Haben Sie die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß er geistig nicht ganz gesund ist… nicht für seine Taten verantwortlich, so wie Sie und ich den Begriff Verantwortung verstehen?«
Wade akzeptierte also Rhys’ Schuld! Waren es wirklich nur die Beweise, die sie vorgelegt hatten? Oder wußte er etwas von Rhys selbst, aus irgendwelchen Gesprächen? Hatte er im Laufe der Jahre eine tiefere Einsicht in den Charakter des jungen Mannes gewonnen?
»Kein Mann könnte diesen Frauen das angetan haben, Doktor, und geistig gesund sein, so wie Sie und ich diesen Ausdruck verstehen«, erwiderte er schnell. »Es ist nicht an uns, ein Urteil zu fällen, und dafür danke ich Gott.«
Wade holte tief Luft und stieß den Atem dann mit einem Seufzen wieder aus, bevor er Evan zum Abschied zunickte und an ihm vorbei zum Salon ging.
10
Nachdem Monk und Evan gegangen waren, blieb Corriden Wade im Salon, wo er auf und ab lief, außerstande, still dazusitzen. Sylvestra bewegte sich kaum, sondern starrte ins Leere, als seien alle Kraft und alle Entschlossenheit in ihr erloschen. Hester stand am Feuer.
»Es tut mir leid«, sagte Wade leidenschaftlich und blickte Sylvestra an. »Es tut mir so leid! Ich hatte keine Ahnung, daß es dazu kommen würde. Es ist grauenvoll.«
Hester starrte ihn an. Hatte er die ganze Zeit über etwas Böses in Rhys gesehen und ein Unglück befürchtet, wenn auch
Weitere Kostenlose Bücher