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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich von Evan und verließ mit schnellem Schritt das Polizeirevier. Er zog es vor, daß Runcorn nichts von seinem Besuch dort erfuhr. Das Letzte, was er wollte, war eine Zufallsbegegnung mit diesem Mann.
    Es würde ein langer, kalter Tag werden, und erst der Abend war der beste Zeitpunkt, um die Menschen zu treffen, die auch am Mordtag in dieser Gegend unterwegs gewesen waren und Rhys oder Leighton Duff oder einen der beiden Kynastons gesehen hatten. Wütend über seine eigene Hilflosigkeit, mit nassen und von der Kälte beinahe tauben Füßen, kehrte Monk nach St. Giles zurück, wo er in einem Lokal eine heiße Fleischpastete, Kartoffeln, Zwiebeln und einen gedämpften Pudding mit einer einfachen Soße aß.
    Anschließend verbrachte er mehrere Stunden damit, Nachforschungen anzustellen und die verschiedensten Leute zu befragen. Er ging langsam durch Gassen und Straßen, treppauf, treppab, immer tiefer hinein in den ältesten, seit Generationen unveränderten Teil des Bezirks. Wasser tropfte von verfaulenden Dachtraufen, die Steine waren mit Schlamm bedeckt, Holz knarrte, und Türen hingen schief, aber festverschlossen in ihren Angeln. Vor und hinter ihm bewegten sich schattengleiche Gestalten. Im einen Augenblick erschien seine Umgebung ihm fremdartig, erschreckend, wie ein Moloch, der ihn zu verschlingen drohte; im nächsten Augenblick glaubte er, etwas Vertrautes zu entdecken. Manchmal bog er um eine Ecke und sah dort genau das, was er erwartet hatte, den Umriß eines Häuserblocks oder eine schiefe Mauer, eine Tür mit gewaltigen Eisenbeschlägen, deren Muster er mit geschlossenen Augen hätte nachzeichnen können.
    Monk erfuhr jedoch nichts Neues, außer daß er in der Vergangenheit hier gewesen war, und das wußte er bereits.
    Er begann mit den größeren und teureren Bordellen. Wenn Leighton Duff in St. Giles zu Prostituierten gegangen war, dann war er am ehesten dort hingegangen.
    Bis nach Mitternacht fragte, drohte, schmeichelte, schwatzte er – und erfuhr dabei nicht das Geringste. Wenn Leighton Duff in einem dieser Häuser gewesen war, konnten die Bordellwirtinnen sich entweder nicht an ihn erinnern, oder sie logen, um sich nicht wegen einer Indiskretion in Verruf zu bringen. Monk vermutete letzteres. Duff war tot, und sie hatten nicht viel zu befürchten, wenn sie Monks Fragen beantworteten. Er hatte nicht so viel von seinem früheren Charakter eingebüßt, daß er Menschen, die am Rande des Verbrechens lebten, nicht irgendwelche Informationen hätte abpressen können. Monk verstand sich zu gut auf diese Dinge, um sie nicht zu benutzen.
    Er ging gerade durch eine kurze Gasse Richtung Regent Street, als er einen Droschkenkutscher auf dem Gehsteig stehen sah. Der Mann unterhielt sich mit einem Sandwichverkäufer und schauderte, als der Wind um die Ecke peitschte und ihn mit einem Schwall eisiger Luft traf.
    Monk nahm einen Penny aus der Tasche und kaufte sich ein übergroßes Sandwich. Er biß mit echtem Genuß hinein. Es war sehr gut, frisches Brot mit einer knusprigen Kruste und einer dicken, großzügig mit einem Rhabarber-Chutney bestrichenen Scheibe Schinken.
    »Gut«, sagte er mit vollem Mund. »Haben Sie Ihre Vergewaltiger schon gefunden?« fragte der Kutscher mit hochgezogenen Augenbrauen. Er hatte traurige, ziemlich vorstehende, blaßblaue Augen.
    »Ja, vielen Dank«, erwiderte Monk lächelnd. »Arbeiten Sie schon lange an dieser Stelle?«
    »Ungefähr acht Jahre jetzt. Warum?«
    »Nur so.« Er wandte sich dem Sandwichverkäufer zu. »Und Sie?«
    »Fünfundzwanzig«, antwortete er. »Mehr oder weniger.«
    »Kennen Sie mich?«
    Der Mann blinzelte. »Klar kenne ich Sie. Was für ‘ne Frage soll das sein?«
    Monk wappnete sich gegen das Kommende. »Erinnern Sie sich an eine Razzia in einem Bordell – schon vor ziemlich langer Zeit –, als ein Richter dort gefunden wurde? Er ist die Treppe hinuntergefallen und hat sich übel dabei weh getan.« Er hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als die Miene des Mannes ihm seine Frage bereits beantwortete. Sein Gesicht verzog sich vor Lachen, und ein tiefes, belustigtes Kichern folgte.
    »Und ob!« rief er fröhlich. »Klar erinnere ich mich daran! Das war ein elender Mistkerl, der alte Gutteridge. Hat Polly Thorp für drei Jahre in den Bau geschickt, bloß weil irgendein Kerl, dem sie einem Gefallen getan hat, sagte, sie hätte sein Geld gestohlen, als er gerade zufällig die Hosen runter hatte!« Er lachte noch einmal und blies dabei die Wangen auf,

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