Stilles Echo
zerstört?
Oder gab es einen solchen Beweis gar nicht, und war Leighton Duff lediglich einem Verdacht gefolgt? Was hatte den Ausschlag gegeben, daß er Rhys gerade an diesem Abend gefolgt war?
War es möglich, daß er ihm schon früher gefolgt war? Monk überquerte einen schmalen Innenhof, auf dessen gegenüberliegender Seite sich eine Schmiede befand. Schon bevor er das Gebäude erreichte, konnte er die Wärme des Brennofens spüren und das Feuer riechen, das brennende Metall und das feuchte Fell der Pferde.
Als er hastig weiterging, bevor die Wärme ihn zum Bleiben verlocken konnte, kam ihm ein neuer Gedanke. Hatte Leighton Duff vielleicht ebenfalls Prostituierte aufgesucht, und war das der Grund, warum er überhaupt von Rhys’ Verhalten erfahren hatte? Und, um die Frage weiterzuverfolgen, wie hatte er davon erfahren? War Rhys mit einer Verletzung zurückgekehrt, und hatte er seinem Vater erklären müssen, woher er die Kratzer oder Prellungen hatte? Gewiß nicht. Seine Eltern hätten ihn wohl kaum wegen geringerer Verletzungen zur Rede gestellt, und wenn ja, hätte er sicher eine einfachere Erklärung gefunden. Er hätte einen Boxkampf erfinden können, der ein wenig zu weit gegangen war, ein Mißgeschick beim Reiten, eine Rauferei auf der Straße, ein Dutzend Dinge. Monk nahm sich vor, Sylvestra Duff zu fragen, ob derartige Dinge vorgekommen waren.
Was, wenn Leighton selbst in Seven Dials gewesen war, vielleicht bei einer ganz bestimmten Prostituierten? Diese Theorie erklärt, warum er von Rhys’ Anwesenheit in diesem Bezirk und den Vergewaltigungen dort gewußt hätte. Außerdem würde es teilweise erklären, warum Rhys so wütend darüber war, daß sein Vater ihn zur Rede stellte. Die blanke Heuchelei dieses Tuns konnte ihn wütend gemacht haben.
Und wenn er über die Beziehung seines Vaters zu solchen Frauen Bescheid wußte, konnte das vielleicht auch seine eigene Gewalttätigkeit gegenüber Prostituierten erklären. Hatte er aus dem Gefühl heraus gehandelt, daß seiner Familie, vor allem seiner Mutter, Unrecht getan worden war? Das wäre zumindest ein Ansatzpunkt für mildernde Umstände. Falls es der Wahrheit entsprach und sich beweisen ließ.
Als erstes mußte Monk feststellen, ob irgend jemand in St. Giles Leighton Duff auch an einem anderen Abend als dem seines Todes gesehen hatte. War er in einem der Bordelle bekannt? Wenn ja, würde man ihn dort nur vom Sehen kennen. Ein so welterfahrener Mann wie Leighton Duff würde kaum seinen eigenen Namen benutzen. Während die Gesellschaft sehr wohl wußte, daß viele Gentlemen in solchen Häusern Vergnügungen suchten, war es doch eine ganz andere Sache, in einem davon entdeckt zu werden. Eine solche Ungeschicklichkeit würde dem Ruf eines Mannes schaden, vielleicht sogar irreparablen Schaden zufügen.
Monk blieb abrupt stehen und wäre beinahe über den Bordstein gestolpert. Mit ungewöhnlicher Schärfe kehrte die Erinnerung zurück. Natürlich konnte ein Mann durch ein solches Verhalten ruiniert und zur Zielscheibe hämischer Witze werden, und der Grund dafür war dann weniger seine fleischliche Schwäche als die Absurdheit der lächerlichen Situation, in der er ertappt worden war. Die Würde dieses Mannes war für alle Zeit zerstört. Die Untergebenen des Betreffenden lachten ihn aus, ihr Respekt schmolz dahin. Von Autorität konnte keine Rede mehr sein.
Warum hatte er an Autorität gedacht?
Ein Richter. Es war ein Richter gewesen, den man bei einer Polizeirazzia in einem Bordell gefunden hatte. Er hatte sich mit einem dicken, dreisten Mädchen von etwa vierzehn Jahren vergnügt. Als die Polizei das Haus betreten hatte, war er im Hemd und mit fliegenden Haaren aus dem Zimmer gestürzt gekommen; er hatte seine Brille vergessen, war gestolpert und die Treppe hinuntergestürzt. Am Ende war er direkt vor den Füßen des Polizeibeamten gelandet, das Hemd über den Kopf gestülpt, so daß kaum noch etwas der Phantasie überlassen blieb. Monk war nicht dabeigewesen. Er hatte später davon gehört und gelacht, bis er vor Tränen nichts mehr sehen konnte und ihm die Rippen weh taten.
Warum fiel ihm das jetzt wieder ein? Der Zwischenfall war immer noch komisch, aber es mußte irgendeine Ungerechtigkeit damit verbunden gewesen sein, irgendein Schmerz.
Warum? Warum sollte Monk deswegen Gewissensbisse haben? Der Mann war ein Heuchler, der Frauen für ein Verbrechen verurteilte, bei dem er selbst mittat. Sie dafür bestrafte, daß sie eine Ware feilboten, die
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