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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Droschke zu suchen.
    An seinem Ziel angekommen, bat er darum, mit Mr. Kynaston sprechen zu dürfen.
    Widerstrebend führte man ihn in die Bibliothek. Dort brannte kein Feuer, aber der Kamin war noch warm. Joel Kynaston kam herein, zog die Tür hinter sich zu und musterte Monk von oben bis unten mit verächtlichem Blick. Er war ein Mann von unverwechselbarem Äußeren, mit dichtem, sehr schönem, kastanienbraunem Haar, einer dünnen Nase und einem ungewöhnlichen Mund. Er war durchschnittlich groß und von schlankem Körperbau, und im Augenblick war er eindeutig ungeduldig.
    »Was kann ich für Sie tun, Sir?« fragte er energisch. »Mein Butler hat mich darüber informiert, daß Sie Fragen haben, die Rhys Duff und die bevorstehende Verhandlung betreffen. Ich finde die ganze Angelegenheit überaus unangenehm. Mr. Leighton Duff war ein enger persönlicher Freund von mir, und sein Tod ist für meine ganze Familie eine Tragödie. Wenn ich in der Sache der Gerechtigkeit dienen kann, dann ist es meine Bürgerpflicht, das zu tun, und ich scheue nicht davor zurück. Aber ich muß Sie warnen, Sir, ich habe weder den Wunsch noch die Absicht, noch weiter zu dem Schmerz der Familie Duff beizutragen. Und ich werde auch meiner eigenen Familie keinen Kummer bereiten, um Ihnen zu helfen. Was wollen Sie also von mir?«
    »War Mr. Rhys Duff am Abend vor dem Weihnachtstag in Ihrem Haus zu Gast, Mr. Kynaston?«
    »Ich habe keine Ahnung. Ich war selbst nicht daheim. Warum ist das wichtig? Leighton Duff war zu diesem Zeitpunkt vollkommen unverletzt und erfreute sich bester Gesundheit. Was geht es Sie an, ob Rhys hier war oder nicht?«
    Monk konnte verstehen, daß Joel Kynaston seine Söhne beschützen wollte, die, wie er durchaus befürchten mochte, vielleicht auf eine tragische Weise mit dem Schicksal der Familie Duff zu tun hatten. Vielleicht hatte er auch das Gefühl, daß ihn selbst der Vorwurf traf, ebensowenig über das Verhalten seiner Söhne Bescheid gewußt zu haben wie Leighton Duff. Hätte das Schicksal es anders gewollt, hätte er als erster von dem Treiben der jungen Männer erfahren. Dann wäre vielleicht er in der Water Lane erschlagen worden, und Monk hätte jetzt ebendiese Fragen an Leighton Duff gerichtet. Es war nicht schwer zu begreifen, daß Mr. Kynaston angespannt, bekümmert und nicht bereit war, Monk oder irgend jemandem sonst zu gestatten, noch tiefer in der Wunde zu graben.
    »Es scheint mir möglich zu sein, daß es in der Nacht von Mr. Duffs Tod nicht zum ersten Mal zwischen ihm und seinem Sohn zu einem Streit wegen Rhys’ Benehmen gekommen ist«, antwortete Monk. »Es gibt Beweise, die die Vermutung nahelegen, daß die beiden sich am Abend vor Weihnachten getroffen haben und es zu einer hitzigen Auseinandersetzung gekommen ist. Ich möchte nun gerne wissen, ob das der Wahrheit entspricht oder nicht.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, warum«, sagte Kynaston mit einem Stirnrunzeln. »Es scheint mir tragisch offensichtlich zu sein, was passiert ist. Leighton wurde klar, was Rhys tat, daß sein Verhalten unentschuldbar war, ganz gleich, welche Maßstäbe man anlegte, und erst recht für einen Gentleman. Seine Zügellosigkeit hatte jedes Maß überschritten, seine jüngste Schwäche war in unverhohlene Verderbnis ausgeartet. Sein Vater folgte ihm nach St. Giles und stellte ihn zur Rede, woraufhin Rhys ihn, von rasendem Zorn erfüllt, angriff. Mit Folgen, die uns nur allzugut bekannt sind.«
    »War Rhys schon immer jähzornig, Mr. Kynaston?«
    »Ich fürchte, ja. Als er noch ein Junge war, wurde sein Jähzorn im Zaum gehalten. Solange er sich in meiner Obhut befand, war es ihm niemals gestattet, sich derart gehen zu lassen. Was man ihm zu Hause gestattet hat, weiß ich natürlich nicht. Aber sein Vater machte sich Sorgen um ihn. Das zumindest hat er mir anvertraut. Ich möchte nichts Nachteiliges über die arme Frau sagen, die weiß Gott Schlimmeres zu leiden hat, als es irgendeinem Menschen auferlegt sein sollte, aber Mrs. Duff hat den Jungen im Laufe der Jahre sehr verzogen. Es war ihr verhaßt, ihn zu strafen, und sein Charakter hat darunter gelitten.«
    »Verstehe. Ist jemand im Haus, den ich fragen könnte, ob Rhys an dem betreffenden Abend hier war?«
    »Sie könnten wahrscheinlich meine Frau fragen. Sie war zu Hause, ebenso wie meine Söhne, wenn ich mich recht entsinne.« Diese Eröffnung verunsicherte Monk ein wenig, aber sie mußte nicht unbedingt das Ende seiner Theorie bedeuten. Es war durchaus

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