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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich absolut sicher sein, daß Sie Ihrem Mandanten damit helfen und ihn nicht weiter in Mißkredit bringen. Aber wenn Sie wissen, was Sie tun, dann beweisen Sie Ihre Behauptungen. Fahren Sie möglichst zügig fort.«
    »Vielen Dank, Euer Ehren.« Rathbone entließ Vida Hopgood aus dem Zeugenstand und rief nacheinander ein halbes Dutzend der Frauen aus St. Giles auf, die Monk gefunden hatte. Er begann mit der Frau, deren Vergewaltigung am längsten zurück lag und deren Verletzungen die geringfügigsten waren. Das Gericht saß in unbehaglichem Schweigen da und lauschte den mitleidserregenden Geschichten von Armut, Krankheit und Verzweiflung, die die Frauen schließlich auf die Straße hinausgetrieben hatte, wo sie für ein paar Pennys ihre Körper verkauften.
    Es war Rathbone zutiefst verhaßt, diese Befragungen vornehmen zu müssen. Die Frauen waren allesamt grau im Gesicht und vor Angst und teilweise auch vor Scham beinahe außerstande, zusammenhängende Sätze hervorzubringen. Sie verachteten sich für das, was sie getan hatten, aber ihre Not hatte ihnen keine andere Wahl gelassen. Es war eine Qual für sie, in diesem hübschen Gerichtssaal zu sein, dem Richter in seiner scharlachroten Robe gegenüberstehen zu müssen und von ihrem Elend, ihrer Demütigung und ihrem Schmerz zu sprechen.
    Rathbone betrachtete die Geschworenen und las gänzlich anders geartete Gefühle in deren Gesichtern. Er beobachtete, wie weit sie den Berichten dieser Frauen zu folgen vermochten, wie vieles sie erahnten. Wie viele dieser Männer mochten selbst solche Frauen aufgesucht haben? Was empfanden sie jetzt? Scham, Wut, Mitleid oder Abscheu? Mehr als die Hälfte von ihnen blickte zur Anklagebank hinauf, zu Rhys, dessen Gesicht von Gefühlen verzerrt war, auch wenn es sich unmöglich sagen ließ, was seinen Zorn erregte, was den Abscheu weckte, der so deutlich sichtbar in seinen Zügen stand.
    Rathbone warf auch einen Blick auf Sylvestra Duff und sah ihre entsetzte Miene, während sich eine Welt vor ihr auftat, die ihre Vorstellung bei weitem überstieg. Diese Frauen führten ein Leben, das sich von dem ihren so vollkommen unterschied, daß sie zu einer anderen Spezies hätten gehören können. Und doch lebten sie nur wenige Meilen entfernt in derselben Stadt.
    Fidelis Kynaston, die neben ihr saß, sah bleich, aber weniger schockiert aus. Sie wußte bereits um den Schmerz und die dunklere Seite der Welt. Dies war nur eine Wiederholung von Dingen, die ihr bereits bekannt waren.
    Eglantyne Wade regte sich nicht, während eine Welle des Elends nach der anderen an ihr vorüberwogte und mit übelkeitserregender Genauigkeit Dinge zur Sprache gebracht wurden, die sie sich nicht einmal im Traum hätte vorstellen können.
    Nach und nach wurden die Berichte immer brutaler. Die Zeuginnen trugen immer noch Zeichen der Gewalt, die ihnen angetan worden war; ihre Gesichter waren verfärbt und angeschwollen, und beim Sprechen wurden ihre frischen Zahnlücken sichtbar.
    Ebenezer Goode zögerte, bevor er eine jede von ihnen befragte. Keine der Frauen hatte die Angreifer erkannt. Jede weitere Brutalität konnte seinen Fall nur stärken. Warum sollte er irgendeine Aussäge hinterfragen? Zu beweisen, daß die Frauen Prostituierte waren, war unnötig. Kein Mann und keine Frau im Saal war diesbezüglich im Zweifel, und jeder der Anwesenden hatte seine eigenen Ansichten zu ihrem Gewerbe und dessen Platz in der Gesellschaft oder in seinem eigenen Privatleben.
    Besonders hoch schlugen die Wogen des Ekels und des Zorns, als die dreizehnjährige Lily Barker, die immer noch ihre ausgerenkte Schulter schonen mußte, ihre Aussage machte. Stockend erzählte sie Rathbone, wie man sowohl sie als auch ihre Schwester getreten und geschlagen hatte. Sie wiederholte die gegrunzten Schimpfworte, die sie gehört hatte, und sprach davon, wie sie versucht hatte, davonzukriechen und sich in der Dunkelheit zu verstecken.
    Fidelis Kynaston sah so aschfahl aus, daß Rathbone glaubte, die Aussage des Mädchens bereitete ihr noch größere Qual als Sylvestra selbst.
    Der Richter beugte sich vor, das Gesicht ebenfalls angespannt und bekümmert.
    »Haben Sie immer noch nicht alles, was Sie brauchen, Sir Oliver? Sie können unmöglich noch mehr wollen. Wir haben es hier mit einer grauenvollen Angelegenheit von wachsender Gewalt und Brutalität zu tun. Was müssen Sie uns denn noch beweisen? Kommen Sie endlich zur Sache!«
    »Ich habe noch ein weiteres Vergewaltigungsopfer, Euer Ehren. Diese

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