Stilles Echo
nicht sprechen konnte, warum er es, selbst wenn er könnte, nicht getan hätte.
Hester hastete die zwei Stufen hinunter, um die anderen einzuholen. Sobald sie bei den Zellen waren, wandte sie sich an die Wärter.
»Ich danke Ihnen. Bringen Sie mir den Brandy und das Wasser und lassen Sie uns dann allein. Ich werde alles in meiner Kraft Stehende für ihn tun.« Es war ein Rennen gegen die Zeit. Es konnte nicht lange dauern, bis Dr. Wade oder irgendein anderer Arzt kam. Wenn sie recht hatte, durfte nicht Corriden Wade diese Untersuchung vornehmen. Sie mußte es wissen.
Der Wärter verschwand und ließ die Tür offen. Sein Kollege wartete dahinter. Wie sollte sie es anfangen, wie Zeit gewinnen?
»Alles in Ordnung, Miss?«
»Ja, natürlich, vielen Dank. Ich bin Krankenschwester. Ich habe schon viele verletzte Männer behandelt. Ich werde ihn nur untersuchen, um festzustellen, wo seine schwersten Verletzungen liegen. Es wird dem Arzt helfen, wenn er kommt. Wo ist der Brandy? Und das Wasser? Ich brauche nur wenig, aber beeilen Sie sich!« Ihre Hände zitterten, ihr Mund war trocken. Sie konnte ihr Herz spüren, das ihr gegen die Brust hämmerte.
Rhys war immer noch bewußtlos. Sobald er wieder zu sich kam, würde sie nichts mehr tun können.
Hester öffnete Rhys’ Kragen und nahm ihm die Krawatte ab. Dann knöpfte sie sein Hemd auf, bevor sie sachte begann, den oberen Teil seines Körpers zu untersuchen. Dort waren keine Verbände, denn gegen Prellungen ließ sich nicht viel tun, man konnte lediglich Salbe aufstreichen, wie Arnika zum Beispiel. Die schlimmsten Prellungen hatten zu heilen begonnen. Die gebrochenen Rippen waren gut zusammengewachsen, obwohl Hester wußte, daß sie Rhys immer noch schmerzten, vor allem wenn er hustete, nieste oder eine zu schnelle Bewegung machte.
Wo war der Wärter mit dem Brandy und dem Wasser? Es schien ihr eine Ewigkeit verstrichen zu sein, seit er gegangen war!
Vorsichtig öffnete sie den Hosenbund. Das war der Bereich, in dem seine schlimmsten Verletzungen lagen, die Verletzungen, die Dr. Wade behandelt und die zu sehen er ihr nicht gestattet hatte. Hester zog den Hosenbund einige Zoll weit hinunter und sah die bläulichpurpurnen Verfärbungen, die mittlerweile verblaßten. Die Abschürfungen dort, wo er getreten worden war, waren immer noch zu sehen, wurden aber zum Rand hin bereits blasser und waren eher gelblich als blau. Sie konnte keine Verbände ertasten.
»Miss!«
Sie erstarrte. »Ja?«
»Das Wasser, Miss«, sagte der Wärter. »Und ein Tropfen Brandy. Ist er schlimm verletzt?«
»Das kann ich noch nicht sicher feststellen. Ich danke Ihnen.« Sie richtete sich auf und nahm ihm erst das Wasser, dann den Brandy ab. Beide Gefäße stellte sie auf den kleinen Tisch.
»Vielen Dank. Sie können mich jetzt einschließen. Ich werde keine Schwierigkeiten haben. Kommen Sie wieder, wenn der Arzt eintrifft. Und wenn Sie so freundlich sein wollen, klopfen Sie vorher an. Ich mache ihn dann fertig.«
»Jawohl, Miss. Sind Sie sicher, daß Sie zurechtkommen werden? Sie sehen furchtbar blaß aus. Vielleicht sollten Sie selbst einen Schluck von diesem Brandy nehmen?«
Sie versuchte zu lächeln und spürte, wie ihr Gesicht sich zu einer Grimasse verzog. »Vielleicht. Vielen Dank.«
»Keine Ursache, Miss. Sie brauchen bloß zu klopfen, wenn Sie raus wollen.«
»Das mache ich. Jetzt sollte ich erst einmal feststellen, was ich für ihn tun kann. Vielen Dank!«
Endlich ging er und ließ sie allein. Sie machte sich unverzüglich an die Arbeit, denn sie hatte keine Zeit zu verlieren. Die Wärter konnten jederzeit mit einem Arzt zurückkehren. Wenn sie sich irrte, gab es keine Möglichkeit auf Erden, wie sie hätte erklären können, was sie tat. Ihr Verhalten würde sie wahrscheinlich ruinieren, selbst wenn sie recht hätte, es aber nicht beweisen konnte!
Hester öffnete Rhys’ Hose und seine Unterwäsche, um seinen Körper bis zu den Schenkeln zu entblößen. Er hatte keinerlei Verbände am Unterleib, keine Pflaster. Das einzige waren furchtbare Prellungen, als hätte man ihn wiederholt getreten. Mit einem Gefühl der Übelkeit rollte sie Rhys auf den Bauch und begann die Untersuchung, die ihr verraten würde, was sie wissen mußte, obwohl das träge Blutrinnsal und das purpurne, aufgerissene Fleisch bereits alles sagten.
Hester brauchte nur Sekunden. Dann zog sie Rhys mit zitternden Händen und steifen, unbeholfenen Fingern die Kleider wieder an und rollte ihn auf den Rücken
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