Stilles Echo
ich kann.«
»Vielen Dank«, erwiderte Hester. »Das ist sicher eine zufriedenstellende Regelung.«
Der Schatten eines Lächelns umspielte Sylvestras Mund. »Ich denke, der Diener wird Ihr Gepäck mittlerweile nach oben gebracht haben. Möchten Sie vielleicht zuerst Ihr Zimmer sehen und Ihre Garderobe wechseln?«
»Vielen Dank, aber ich würde am liebsten Mr. Duff kennenlernen, noch bevor ich irgend etwas anderes tue«, erwiderte Hester. »Und vielleicht könnten Sie mir ein wenig mehr über ihn erzählen.«
»Über ihn?« Sylvestra schien verwirrt zu sein.
»Seinen Charakter, seine Interessen«, erklärte Hester freundlich. »Dr. Wade sagte, der Schock habe ihn vorübergehend der Sprache beraubt. Für den Anfang werde ich nur das über ihn wissen, was Sie mir sagen. Ich möchte ihm auf keinen Fall durch Unwissenheit unnötigen Kummer bereiten. Außerdem…« Sie zögerte.
Sylvestra sah sie wartend an; sie hatte offensichtlich keine Ahnung, wovon Hester sprach.
Hester holte tief Luft.
»Außerdem muß ich wissen, ob Sie ihm vom Tod seines Vaters erzählt haben.«
Sylvestras Miene spiegelte jähes Begreifen wider. »Oh, natürlich! Es tut mir leid, daß ich so langsam bin. Ja, ich habe es ihm erzählt. Ich hielt es nicht für richtig, es vor ihm zu verbergen. Er wird sich diesen Dingen stellen müssen. Ich möchte nicht, daß er denkt, ich hätte ihn belogen.«
»Das alles muß furchtbar schwer für Sie sein«, meinte Hester.
»Es tut mir leid, daß ich diese Frage stellen mußte.«
Sylvestra schwieg einen Augenblick lang, als könne auch sie kaum glauben, was ihr binnen weniger Tage widerfahren war. Ihr Mann war tot und ihr Sohn schwer verletzt und eingesperrt in seine eigene, isolierte Welt, in der er sah und hörte, aber außerstande war zu sprechen, außerstande, irgend jemandem sein Entsetzen und seinen Schmerz mitzuteilen.
»Ich werde versuchen, Ihnen etwas über ihn zu erzählen«, erwiderte Sylvestra schließlich. »Es… es fällt mir schwer, an die Dinge zu denken, die vielleicht helfen könnten.« Sie wandte sich ab, um durch das Zimmer und den Korridor zur Treppe zu gehen. Am Fuß der Treppe sah sie sich nach Hester um. »Ich fürchte, daß wir auf Grund der Umstände dieses Unfalls damit rechnen müssen, daß die Polizei wiederkommen wird, um Fragen zu stellen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man Ihnen zur Last fallen wird, da Sie natürlich nichts wissen können. Wenn Rhys wieder sprechen kann, wird er mit der Polizei reden, aber man wird darauf gewiß nicht warten wollen.« Ein Ausdruck der Trostlosigkeit trat in ihre Züge. »Sie werden ohnehin wohl nie herausfinden, wer es gewesen ist. Wahrscheinlich war es eine Horde namenloser Unholde, und in den Elendsvierteln halten die Leute fest zueinander.« Sie ging die Treppe hinauf, den Rücken durchgedrückt, den Kopf hoch erhoben, aber in ihren Bewegungen war kein Leben.
Hester, die ihr folgte, stellte sich vor, daß die Taubheit des Schocks gerade erst von ihr abfiel und sie in Gedanken wieder und wieder alle Einzelheiten durchging, während ihr zu Bewußtsein kam, daß das alles Wirklichkeit war. Sie erinnerte sich, daß sie selbst ebenso empfunden hatte, als sie vom Selbstmord ihres Vaters erfuhr. Und als wenige Wochen später dann ihre Mutter starb, aus Einsamkeit und Verzweiflung. Hester hatte sich unaufhörlich mit den Einzelheiten beschäftigt und doch nie wirklich geglaubt, daß der Mann, der für den Ruin ihrer Familie verantwortlich war, jemals dingfest gemacht würde.
Aber das alles gehörte jetzt der Vergangenheit an, und das einzige, was sie davon im Kopf behalten mußte, war ihr Verständnis für die wechselhaften Stimmungen der Trauer.
Das Haus der Duffs war groß und sehr modern eingerichtet. Alles, was sie im Empfangssalon und nun im Flur sah, stammte spätestens aus der Zeit der Thronbesteigung der Königin. Dieses Haus hatte nichts von der kargen Eleganz der georgianischen Epoche. Überall fanden sich Gemälde, kunstvolle Tapeten, Wandbehänge und gewebte Teppiche, Blumenarrangements und ausgestopfte Tiere hinter Glas.
Sylvestra öffnete die dritte Tür im Flur, zögerte einen Augenblick lang und bedeutete Hester dann, ihr zu folgen. Dieses Zimmer war ganz anders. Die hohen Fenster gingen nach Süden hinaus, und das helle Tageslicht beleuchtete fast kahle Wände. Beherrscht wurde der Raum von einem großen Bett mit geschnitzten Pfosten, in dem ein junger Mann lag. Er war sehr bleich, und sein empfindsames, mutloses
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