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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Intelligenz, Grundsatztreue, leidenschaftliches Streben nach Gerechtigkeit, die Fähigkeit, sich beinahe jeder Art von Wahrheit zu stellen, ganz gleich, wie furchtbar sie war, und die Tatsache, daß er nie, niemals zum Heuchler wurde.
    Andererseits haßte sie diesen grausamen Zug, den sie an ihm erlebt hatte, die Arroganz, die immer wieder zutage tretende Gefühllosigkeit. Und er war ein Narr, wenn es um die Beurteilung eines Charakters ging. Er vermochte die Finten einer Frau ebensowenig zu durchschauen, wie ein Hund Spanisch lesen konnte! Er fühlte sich beständig zu einer Art von Frauen hingezogen, die ihn am wenigsten würde glücklich machen können.
    Warum verursachte ihr die Erinnerung an ihr letztes Treffen diesen Schmerz, dieses Gefühl, innerlich wundgerieben zu sein? Hester versuchte, sich genau an seine Worte zu erinnern. Andererseits wußte sie nicht einmal mehr, worum es bei ihrem Streit eigentlich gegangen war: Es hatte etwas mit ihrer Eigenmächtigkeit zu tun gehabt, einem seiner Lieblingsthemen. Er hatte ihr vorgeworfen, sie sei selbstherrlich und beurteile die Menschen zu streng und nur nach ihren eigenen Maßstäben, denen es an augenzwinkernder Menschlichkeit fehle.
    Monk hatte gesagt, sie verstehe sich darauf, Kranke und Schwache zu pflegen, sei aber nicht imstande, zu leben wie eine ganz gewöhnliche Frau, zu lachen oder zu weinen und andere Gefühle als die einer Krankenhausmatrone zu empfinden. Andauernd stürze sie sich auf die Katastrophen im Leben anderer Menschen, statt ihr eigenes Leben zu leben. Die Tatsache, daß sie sich unablässig in anderer Leute Angelegenheiten einmische, die Tatsache, daß sie immer glaube, alles besser zu wissen, mache sie zu einer ausgesprochen faden Person.
    Alles in allem war es darauf hinausgelaufen, daß ihre Eigenschaften zwar bewundernswert und für die Gesellschaft dringend notwendig waren, sie jedoch zu einer persönlich unattraktiven Frau machten.
    Das war es, was weh tat. Kritik war in Ordnung, sie rechnete damit, und sie konnte ihm gewiß genausoviel zurückgeben, wie sie selbst einsteckte. Aber Ablehnung war etwas ganz anderes.
    Unwillkürlich dachte Hester an Oliver Rathbone. Der Gedanke an ihn entlockte ihr ein Lächeln. Im Grunde pflegten sie gar keinen gesellschaftlichen Kontakt, sondern eher eine berufliche Freundschaft. Der Anwalt hatte sie kürzlich damit überrascht, daß er sie zum Essen und anschließend ins Theater einlud. Sie hatte die Einladung angenommen und sehr genossen, daß sie sich noch jetzt gern daran erinnerte.
    Zuerst hatte diese plötzliche Einladung sie ein wenig in Verlegenheit gestürzt. Wovon sollte sie reden? Ausnahmsweise gab es keinen Fall, an dem sie ein gemeinsames Interesse hatten.
    Aber Hester hatte vergessen, wie weltgewandt Rathbone war.
    Bei einem Verleumdungsfall hatte sie seine verletzliche Seite kennengelernt. Doch beim Dinner und im Theater war er vollkommen anders. Hier hatte er alles unter Kontrolle. Wie immer war er tadellos und mit der maßvollen Zurückhaltung eines Mannes gekleidet, der weiß, daß er niemanden zu beeindrucken braucht, da seine Position bereits gesichert ist. Er hatte ungezwungen über alle möglichen Dinge geredet, Kunst, Politik, Reisen, ein wenig Philosophie und ein paar nichtige Skandale. Er hatte Hester zum Lachen gebracht. Sie sah ihn vor sich, wie er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und sie sehr direkt anschaute. Er hatte ungewöhnliche Augen, die sehr dunkel in seinem hageren, schmalen Gesicht mit dem blonden Haar wirkten, dazu eine lange Nase und einen Mund, der ein anspruchsvolles Wesen verriet. Sie hatte ihn noch nie zuvor so entspannt erlebt, als hätten für einen gewissen Zeitraum Pflicht und Gesetz aufgehört, eine Rolle für ihn zu spielen.
    Hester lächelte immer noch bei dem Gedanken an diese Stunden, als der Hansom ihr Ziel in der Ebury Street erreichte und sie mitsamt ihrem Gepäck dort absetzte. Sie entlohnte den Kutscher und ging zum Nebeneingang, wo ein Diener ihr mit ihren Koffern half und sie in einen Raum führte, in dem sie auf die erste Begegnung mit der Hausherrin warten sollte.
    Man hatte Hester nur wenig über die Natur von Rhys Duffs Verletzungen mitgeteilt, nur daß sie ihm bei einem Überfall zugefügt worden waren, bei dem sein Vater getötet worden war. Hester hatte im Krankenhaus mit Dr. Riley gesprochen, und er hatte ein fortgesetztes Interesse an Rhys Duffs Genesung bekundet. Es war jedoch der Arzt der Familie, Corriden Wade, der sie engagiert

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