Stilles Echo
wissen Sie, welche Speisen er besonders mag?«
Das Gesicht der Köchin hellte sich ein wenig auf. »O ja, Miss, natürlich weiß ich das. Er ißt besonders gern kalten Hammelrücken, der junge Herr. Und Hasenpfeffer.«
»Sobald er wieder soweit hergestellt ist, daß er an diese Gerichte denken kann, werde ich es Sie wissen lassen.« Hester nahm ein gekochtes Ei und die Eiercreme mit hinauf.
Sie fand ihn in völlig veränderter Stimmung vor. Er schien mehr als bereit zu sein, sich von ihr helfen zu lassen, damit er sich aufsetzen und über die Hälfte des Essens zu sich nehmen konnte, das man für ihn zubereitet hatte, obwohl ihm jede Bewegung offensichtlich beträchtliche Schmerzen bereitete. Er stöhnte leise, und Schweißperlen zeigten sich auf seinem Gesicht. Rhys schien gleichzeitig verschwitzt zu sein und zu frieren, und eine Weile sah es so aus, als litte er auch unter Übelkeit.
Hester tat für ihn, was sie konnte, aber das war nur sehr wenig. Im Grunde konnte sie nur hilflos dastehen, während er die Wogen des Schmerzes niederkämpfte, den Blick fest auf ihr Gesicht geheftet, die Augen voller Verzweiflung und der flehentlichen Bitte um die geringste Erleichterung, den leisesten Trost. Sie streckte die Hände aus und umfaßte seine Fingerkuppen unterhalb der Verbände, ohne auf die Schwellungen und die aufgerissene, verschorfte Haut zu achten. Sie hielt ihn fest, wie sie es getan hätte, wenn er ihr buchstäblich entglitten wäre.
Seine Finger gruben sich so fest in ihr Fleisch, daß sie, wenn er sie endlich losließ, wahrscheinlich ein paar blaue Flecken bekommen würde.
Eine halbe Stunde verstrich in völligem Schweigen, dann begann er endlich, sich ein wenig zu entspannen. Der Schweiß lief ihm über die Stirn und perlte auf seiner Oberlippe, aber seine Schultern ruhten unverkrampft auf dem Kissen, und seine Finger hatten sich geöffnet. Hester konnte ihre Hand zurückziehen und aufstehen, um sein Gesicht abzutupfen.
Rhys lächelte sie an. Es war nur eine kleine Wölbung der Lippen, ein weicherer Ausdruck in seinen Augen, aber es war ein Lächeln.
Sie lächelte zurück und hatte plötzlich einen Kloß in der Kehle. Dies war ein flüchtiger Blick auf den Mann, der er gewesen sein mußte, bevor ihm dieses furchtbare Unglück widerfahren war.
Rhys rief sie in der Nacht nicht zu sich; seine Glocke blieb, wo sie war. Dennoch wachte sie zweimal aus eigener Unruhe auf und ging in sein Zimmer, um nach ihm zu sehen. Beim ersten Mal stellte sie fest, daß er unruhig schlief, und wartete einige Sekunden, bevor sie sich wieder aus dem Zimmer stahl, ohne ihn zu stören.
Beim zweiten Mal war er wach, und er hörte sie, sobald sie die Tür aufdrückte. Er lag auf dem Rücken und starrte sie an.
Sie hatte keine Kerze mitgenommen und orientierte sich nur mit Hilfe des Lichtes, das die glühenden Kohlen im Kamin abgaben. Es war kälter geworden. Seine Augen wirkten in dem fahlen Licht eingefallen.
Hester lächelte ihm zu.
»Ich glaube, es wird Zeit, daß ich das Feuer noch einmal schüre«, sagte sie leise. »Es ist fast ausgegangen.«
Er nickte kaum merklich und sah dann zu, wie sie vorsichtig kleine Kohlenstücke auf die Glut legte. Dann wartete sie, bis die frischen Kohlen zaghaft Feuer fingen.
Als sie an sein Bett trat, versuchte sie, aus seiner Mine herauszulesen, was er wollte oder brauchte. Seine körperlichen Schmerzen schienen nicht schlimmer zu sein als zuvor, aber in seinem Blick lag ein neues Drängen, und sein Mund wirkte verkrampft. Wollte er, daß sie blieb, oder sollte sie gehen? Wenn sie ihn fragte – würde ihre Frage zu unbeholfen wirken, zu direkt? Sie mußte mit Takt zu Werke gehen. Er war so schwer verletzt worden. Was war ihm zugestoßen? Was hatte er mitangesehen?
»Hätten Sie vielleicht gern einen Becher Milch und etwas Pfeilwurz?« schlug sie vor.
Er nickte sofort.
»Ich bin gleich wieder da«, versprach sie.
Erst eine Viertelstunde später kehrte sie zurück. Der Weg bis zur Küche war weiter, als sie ihn in Erinnerung hatte, und sie hatte länger als erwartet gebraucht, um den Küchenherd einigermaßen warm zu bekommen. Aber die Zutaten waren frisch, und sie hielt einen hübschen blauweißen Porzellanbecher mit dampfender Milch in den Händen. Das Getränk hatte genau die richtige Temperatur, und der Pfeilwurz darin würde den Kranken ein wenig beruhigen. Hester schüttelte die Kissen in Rhys’ Rücken auf und hielt ihm den Becher an die Lippen. Lächelnd und ohne den Blick
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