Stilles Echo
und maurischen Eroberungen Nordafrikas und Spaniens zu handeln. Schließlich entdeckte sie ein Buch über die arabische Kunst, die Mathemathik und die Erfindungen der Araber.
Sie mußte irgendwie mit ihm in Verbindung treten. Also trat sie vor, daß Rhys sie sehen mußte, wenn auch nur aus den Augenwinkeln.
»Sie haben eine interessante Büchersammlung«, sagte sie im Plauderton. »Sind Sie je selbst gereist?« Er wandte den Kopf um und sah sie an.
»Ich weiß, daß Sie nicht sprechen können, aber Sie können nicken«, fuhr sie fort. »Sind Sie gereist?«
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war zwar eine Antwort, aber sein Blick ließ nach wie vor Feindseligkeit erkennen.
»Haben Sie die Absicht zu reisen, wenn es Ihnen wieder besser geht?«
Es war, als senke sich ein Vorhang zwischen ihnen herab. Hester konnte die Veränderung deutlich wahrnehmen, obwohl sie so geringfügig war, daß sie sich nicht beschreiben ließ.
»Ich war auf der Krim«, sagte sie, ohne auf seine abweisende Haltung zu reagieren. »Ich war während des Krieges dort. Natürlich habe ich überwiegend Schlachtfelder und Hospitäler gesehen, aber gelegentlich habe ich auch etwas von den Menschen und dem Land zu Gesicht bekommen. Es erscheint mir immer ungewöhnlich, ja beinahe unanständig, daß die Blumen weiterblühen und so viele Dinge völlig unverändert scheinen, auch wenn die Welt kopfsteht und die Menschen einander töten und zu Hunderten sterben. Man hat das Gefühl, als solle eigentlich alles verharren, aber das geschieht natürlich nicht.«
Sie beobachtete ihn, und diesmal wandte er nicht den Blick ab, auch wenn seine Augen voller Zorn zu sein schienen. Sie war fast sicher, daß es Zorn war, nicht Angst. Hester blickte auf seine gebrochenen und geschienten Hände auf den Laken hinab.
Die Fingerkuppen unter den Verbänden waren schlank und empfindsam. Die Nägel waren makellos geformt, bis auf einen, der böse eingerissen war. Er mußte sich die Hände verletzt haben, als er um sein Leben gekämpft hatte… und vielleicht auch um das seines Vaters. Wieviel hatte er von dem Kampf in Erinnerung behalten? Welch furchtbares Wissen mochte in seinem Schweigen verborgen liegen?
»Ich habe auch einige Türken kennengelernt, die ausgesprochen charmant und sehr interessant waren«, fuhr sie fort, als habe er den Wunsch geäußert, mehr zu erfahren. Sie erzählte von einem jungen Mann, der im Krankenhaus geholfen hatte, und während sie ganz beiläufig über ihn sprach, fielen ihr immer neue Einzelheiten ein. Was sie nicht mehr im Gedächtnis hatte, das erfand sie hinzu.
Einmal, nur ein einziges Mal während der ganzen Stunde, sah sie, wie der Anflug eines Lächelns seine Mundwinkel zucken ließ. Zumindest hörte er wirklich zu. Einen Augenblick lang hatten sie einen Gedanken oder ein Gefühl geteilt.
Später brachte sie ihm eine Salbe, mit der sie die aufgerissene Haut seines Gesichts einreihen wollte. An manchen Stellen trockneten die Verletzungen bereits, und die Haut würde bald reißen, was sehr schmerzhaft war. Sie strich sich etwas Salbe auf den Finger, aber sobald sie Rhys berührte, riß er den Kopf zurück, sein Körper verkrampfte sich, und in seinen Augen stand dunkler Zorn.
»Es wird nicht weh tun«, versprach sie. »Die Salbe verhindert vielleicht, daß der Schorf reißt.«
Er bewegte sich nicht. Seine Muskeln waren gespannt, und er hielt Brust und Schultern so steif, daß die Verletzungen, die Dr. Riley und Dr. Wade zufolge seinen Körper bedeckten, davon schmerzen mußten.
Sie ließ die Hände sinken.
»Also gut. Es ist nicht so wichtig. Ich werde Sie später noch einmal fragen, und dann sehen wir, ob Sie Ihre Meinung geändert haben.«
Hester verließ das Zimmer und ging in die Küche hinunter, um Rhys etwas zu essen zu holen. Vielleicht konnte die Köchin ihm ein Ei oder ein leichte Eiercreme zubereiten. Dr. Wade meinte, daß Rhys Zustand ihm durchaus erlaube, etwas zu essen, und daß man ihn unbedingt dazu ermutigen müsse.
Die Köchin, Mrs. Crozier, hatte eine ganze Reihe passender Gerichte anzubieten, die entweder bereits fertig oder mühelos zuzubereiten waren, während Hester darauf wartete. Sie bot Rinderbrühe, Eier, gedünsteten Fisch, Brot und Butterpudding an, gebackene Eiercreme und kaltes Huhn.
»Wie geht es ihm, Miss?« fragte sie mit besorgter Miene.
»Er scheint sich immer noch sehr schlecht zu fühlen«, antwortete Hester ehrlich. »Aber wir dürfen nicht die Hoffnung verlieren. Vielleicht
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