Stilles Echo
Tod miterlebte.
»Rhys!« rief sie ihn mit energischer Stimme an und berührte ihn am Handgelenk. Sie war darauf gefaßt, daß er nach ihr schlug, weil er sie für einen der Angreifer hielt. »Hören Sie auf damit! Sie sind zu Hause! Sie sind in Sicherheit!« Hester umfaßte sein Handgelenk mit festem Griff und schüttelte ihn. Sein Körper war völlig steif, die Muskeln verkrampft. Sein Nachthemd war schweißgetränkt. »Wachen Sie auf!« schrie sie ihn an. »Sie müssen aufwachen!«
Er begann zu zittern, so heftig nun, daß das ganze Bett schwankte. Dann fiel er plötzlich in sich zusammen, und ein lautloses Schluchzen schüttelte ihn, während ihm die Tränen übers Gesicht rannen und sein Atem in gehetzten Stößen kam.
Hester dachte nicht einmal darüber nach, sie setzte sich aufs Bett, streckte die Arme nach ihm aus und hielt ihn fest. Dann strich sie ihm sachte über das dichte Haar, schob ihm eine Strähne aus der Stirn und zeichnete die Linie seines Kopfes bis zum Nacken hinunter nach.
Sie wußte nicht, wie lange sie so gesessen hatten. Es mochte durchaus eine Stunde gewesen sein.
Endlich ließ sie ihn dann ganz sachte los und schob sich ein Stück von ihm weg, um aufzustehen. Sie mußte die feuchte und zerknitterte Wäsche wechseln und sich davon überzeugen, daß er in der Aufregung nicht seine Verbände zerrissen oder verschoben hatte.
»Ich werde frische Laken holen«, sagte sie leise. Sie wollte nicht, daß er glaubte, sie ginge einfach fort. »Ich bin gleich wieder zurück.«
Als sie wiederkam, starrte er zur Decke empor. Er hatte auf sie gewartet. Sie legte die frische Wäsche auf den Stuhl und half ihm, sich auf die eine Seite des Bettes zu legen, damit sie auf der anderen Seite die Wäsche wechseln konnte. Dieses Unterfangen war nie einfach, aber er war zu krank, um aufzustehen und sich auf einen Stuhl zu setzen. Sie wußte nicht, welche inneren Verletzungen möglicherweise durch seine Verkrampfung in Mitleidenschaft gezogen worden sein mochten oder welche der Wunden, die Dr. Wade behandelte und sie nicht gesehen hatte, vielleicht wieder aufgerissen waren.
Hester brauchte einige Zeit, und Rhys litt offensichtlich starke Schmerzen. Sie mußte sehr geduldig sein und um ihn herum die Wäsche glattstreichen und glattziehen, zusammenrollen und wieder auffalten. Endlich war das Bett fertig hergerichtet, und er lag erschöpft in den Kissen. Aber er brauchte noch ein frisches Nachthemd. Dasjenige, das er trug, war nicht nur verschwitzt, sondern nun auch voller Blutflecken. Sie wünschte inbrünstig, sie hätte auch die größeren Wunden versorgt, um sicherzugehen, daß sie ordentlich verbunden waren, aber Dr. Wade hatte ihr verboten, diese Verletzungen zu berühren, damit sie mit der Entfernung der Gaze nicht womöglich das heilende Gewebe aufriß.
Hester hielt Rhys das saubere Nachthemd hin.
Er starrte es reglos an. Plötzlich stand wieder dieser abweisende Ausdruck in seinen Augen, und alles Vertrauen war dahin. Unbewußt sank er tiefer in die Kissen hinter ihm zurück.
Sie griff nach dem leichten Oberbett und breitete es von der Taille abwärts bis zu seinen Füßen über ihm aus. Dann sah sie ihn mit einem winzigen Lächeln an, und er erlaubte ihr, wachsam und immer noch argwöhnisch, ihm das Nachthemd über den Kopf zu streifen. Es tat ihm in den Schultern weh, wenn er die Arme hob, aber er biß die Zähne zusammen und zögerte nicht. Sie zog ihm das frische Nachthemd über und breitete es behutsam unter der Decke über seinem Körper aus. Dann strich sie mit großer Vorsicht Laken und Decken wieder glatt, und endlich entspannte er sich.
Schließlich schürte sie noch einmal das Feuer, bevor sie sich auf den Stuhl setzte und wartete, bis er wieder eingeschlafen war.
Am Morgen war sie müde und hatte selbst steife Glieder. Sie würde sich nie daran gewöhnen, in einem Sessel zu schlafen, trotz der vielen Nächte, die sie so verbracht hatte.
Hester erwähnte den Vorfall Sylvestra gegenüber, ohne von dem ganzen Ausmaß des Grauens zu sprechen, das sie mitangesehen hatte. Sie brachte nur deshalb die Rede darauf, um dafür zu sorgen, daß Dr. Wade auch wirklich kam und nicht vielleicht glaubte, Rhys sei auf dem Wege der Genesung und ein anderer Patient brauche ihn dringender.
»Ich muß zu ihm«, sagte Sylvestra sofort; ihr Gesicht war ganz angespannt vor Qual. »Ich fühle mich so nutzlos! Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll, um ihm zu helfen! Ich weiß ja nicht einmal, was
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