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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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diesem jämmerlichen Viertel hätten es sich zweimal überlegt, bevor sie ihn angriffen. Sein Gesicht mit den glatten Wangenknochen, der breiten Adlernase und den leuchtenden Augen strahlte etwas Gefährliches aus. Evans bei weitem sanftere Züge, die voller Humor und Phantasie waren, stellten für niemanden eine Bedrohung dar.
    Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken, aber es war nur eine Ratte, die durch die Gosse lief. In einem Häusereingang schlurfte etwas über den Boden, aber er sah nichts. Das Rumpeln von Kutschenrädern fünfzig Meter entfernt klang, als käme es aus einer anderen Welt, einer Welt, in der es Leben gab und Raum, einer Welt, der das heranbrechende Tageslicht ein wenig Farbe schenkte.
    Evan fror so sehr, daß er zitterte. Eigentlich hätte er den Mantel ausziehen und ihn über den Jungen legen sollen, der noch lebte. Genaugenommen hätte er das sofort tun sollen. Er tat es erst jetzt und spürte, während er den Stoff sachte unter den Körper des jungen Mannes schob, wie die Kälte sich bis auf die Knochen in sein eigenes Fleisch fraß.
    Es schien endlos zu dauern, bis Shotts zurückkehrte, aber er brachte einen Arzt mit, einen hageren Mann mit knochigen Händen und einem dünnen, geduldigen Gesicht. Sein Zylinder war zu groß für ihn und rutschte ihm über die Ohren.
    »Riley«, stellte er sich kurz vor. Dann beugte er sich über den jungen Mann. Während er mit sachkundiger Hand seine Untersuchung vornahm, standen Evan und Shotts wartend und mit gesenktem Blick da. Es war jetzt heller Tag, obwohl es zwischen den hohen, schmuddeligen Mauern in der Gasse immer noch dämmrig war.
    »Sie haben recht«, sagte Riley nach wenigen Sekunden; seine Stimme klang angespannt, und seine Augen waren dunkel. »Er lebt noch… gerade eben.« Er erhob sich wieder und wandte sich der Krankentransportkutsche zu, die große Ähnlichkeit mit einer Leichenkutsche hatte. Der Kutscher wendete die Pferde , um sein Gefährt zum Ende der Gasse zu bringen. »Helfen Sie mir, ihn hochzuheben«, bat er, während eine Gestalt vom Kutschkasten sprang und die Türen an der Hinterseite des Krankentransportes öffnete.
    Evan und Shotts beeilten sich zu gehorchen und hoben die Gestalt so sacht an, wie sie nur konnten. Riley überwachte ihre Bemühungen, bis der Junge in Decken eingehüllt auf dem Boden der Kutsche lag. Evan bekam nun auch seinen Mantel zurück, blutbefleckt, schmutzig und feucht von den nassen Pflastersteinen.
    Riley sah Evan an und schürzte die Lippen. »Sie sollten zusehen, daß Sie trockene Kleider und einen steifen Whisky bekommen. Und dann eine Schale heißen Haferschleim«, meinte er kopfschüttelnd. »Sonst holen Sie sich noch selber eine Lungenentzündung, und das wahrscheinlich für rein gar nichts. Ich bezweifle, daß wir den armen Teufel retten können.« Das Mitleid verwandelte sein Gesicht im Laternenschein und ließ ihn ausgezehrt und verletzlich erscheinen. »Für den anderen kann ich nichts mehr tun. Der fällt in den Aufgabenbereich des Bestatters – und in Ihren natürlich. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Sie werden es brauchen, hier in der Gegend. Gott weiß, was da passiert ist – oder vielleicht wäre es passender zu sagen, der Teufel weiß es.« Und mit diesen Worten stieg er hinter seinem Patienten auf den Wagen. »Für den anderen können Sie den Wagen vom Leichenschauhaus rufen«, fügte er hinzu, als sei ihm dieser Gedanke erst nachträglich gekommen. »Den Jungen bringe ich jetzt nach St. Thomas. Sie können sich dort nach ihm erkundigen. Sie haben wohl keine Ahnung, wer er ist?«
    »Noch nicht«, antwortete Evan, obwohl er wußte, daß sie es vielleicht nie herausfinden würden.
    Riley schloß die Tür und klopfte an die Kutschwand, um dem Fuhrmann zu bedeuten, daß er seine Pferde in Trab setzen sollte, und der Krankentransport rollte davon.
    Der Leichenwagen nahm seine Stelle ein, und die Leiche wurde abtransportiert, so daß Evan und Shotts schließlich allein in der Gasse zurückblieben.
    »Es ist hell genug, um zu suchen«, sagte Evan grimmig.
    »Vielleicht finden wir ja doch etwas. Und dann müssen wir versuchen, Zeugen aufzutreiben. Was ist aus der Frau geworden, die Alarm geschlagen hat?«
    »Daisy Mott. Ich weiß, wo wir sie finden. Tagsüber in der Streichholzfabrik, nachts in diesem Wohnblock da drüben, Nummer sechzehn«, sagte er und deutete mit dem linken Arm auf eines der Gebäude. »Die kann uns bestimmt nicht viel erzählen. Wenn der Mörder dagewesen wäre, als sie

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