Stilles Echo
anders aus. Sie haben sich nicht an mich erinnert, wie?«
Würde sie ihm eine Lüge abnehmen? Und spielte es eine Rolle?
Vida sah ihn durchdringend an. »Warum sind Sie eigentlich von den Bullen weg? Haben die Sie bei was erwischt, was Sie nicht hätten tun sollen?«
»Nein, ich habe mich mit meinem Vorgesetzten gestritten.«
Sie stieß ein schrilles Lachen aus. »Dann haben Sie sich vielleicht doch nicht so sehr geändert! Aber Sie sehen irgendwie nicht aus wie früher. Härter vielleicht, aber nicht mehr so arrogant. Wir sind wohl ein bißchen bescheidener geworden, wie?« Es war eine Feststellung, keine Frage. »Sie haben jetzt wohl auch nicht mehr so viel Macht wie damals, als Sie sich in Seven Dials wichtig gemacht haben.«
Er sagte nichts.
Sie sah ihn eindringlicher an und beugte sich zu diesem Zweck ein klein wenig vor. Vida war eine ausgesprochen gutaussehende Frau und von einer Vitalität, die man unmöglich ignorieren konnte.
»Warum können Sie sich nicht an mich erinnern? Sollten Sie eigentlich!«
»Ich hatte einen Unfall. Es gibt viele Dinge, an die ich mich nicht mehr erinnere.«
»Jesus!« Sie stieß langsam den Atem aus. »Das ist die Wahrheit, wie? Na, da laust mich doch der Affe!« Sie war zu wütend, um auch nur zu fluchen. »Das ist mir aber mal ein Rückschlag. Sie fangen also wieder ganz von vorne an.« Vida lachte leise. »Geht Ihnen also auch nicht besser als uns anderen. Nun, ich bezahle Sie, wenn Sie Ihr Geld wert sind.«
»Ich bin besser als die anderen, Mrs. Hopgood«, sagte er und sah ihr direkt in die Augen. »Ich habe ein paar Dinge vergessen , ein paar Leute, aber ich habe weder meinen Verstand noch meinen Willen verloren. Warum sind Sie zu mir gekommen?«
»Wir kommen ganz gut durch, die meisten von uns«, erwiderte sie gelassen. »Auf die eine oder andere Weise. Zumindest konnten wir es früher, bis diese Dinge angefangen haben.«
»Welche Dinge haben angefangen?«
»Vergewaltigung, Mr. Monk«, antwortete sie und begegnete seinem Blick ohne einen Wimpernschlag und mit eiskaltem Zorn.
Er war verblüfft. Unter allen Möglichkeiten, die ihm inzwischen kurz durch den Kopf gegangen waren, wäre dies die unwahrscheinlichste gewesen.
»Vergewaltigung?« wiederholte er ungläubig.
»Einige unserer Mädchen werden auf der Straße vergewaltigt.« Jetzt sah er nichts anderes mehr in ihrem Gesicht als Schmerz, Schmerz und eine blinde Verwirrung, weil sie den Feind nicht erkennen konnte. Ausnahmsweise einmal kämpfte sie nicht auf einem Schlachtfeld eigener Wahl.
Man hätte das Ganze als lächerlich abtun können. Sie sprach schließlich nicht von respektablen Frauen in irgendeinem hübschen Bezirk, sondern von Fabrikarbeiterinnen, die sich mit Ach und Krach durchschlugen, indem sie rund um die Uhr arbeiteten und dann in ein Zimmer zurückkehrten, das sie sich vielleicht noch mit einem halben Dutzend anderer Menschen aller Altersklassen und beiderlei Geschlechts teilten. Verbrechen und Gewalttaten gehörten zu ihrem Alltag. Daß Vida überhaupt zu ihm gekommen war, zu einem ehemaligen Polizisten, den sie für seine Hilfe bezahlen wollte, bedeutete, daß es sich um etwas ganz und gar Ungewöhnliches handeln mußte.
»Erzählen Sie mir davon«, sagte er einfach.
Vida hatte die erste Barriere bereits durchbrochen. Dies war die zweite. Er hörte zu; aus seinen Augen sprachen weder Hohn noch Gelächter.
»Zuerst dachte ich mir ja nichts dabei«, begann sie. »War nur eine einzige Frau, die ein bißchen mitgenommen aussah. So was kommt vor. So was kommt ziemlich oft vor. Ein Ehemann, der ein bißchen mehr trinkt als gewöhnlich. Wir haben oft eine Frau mit einem blauen Auge oder Schlimmerem in der Fabrik sitzen. Vor allem montags. Aber dann wurde plötzlich getuschelt. Es hieß, man hätte ihr Schlimmeres angetan als das. Ich habe mich immer noch nicht weiter drum gekümmert. Geht mich nichts an, wenn eine Frau sich einen schlechten Mann anlacht. Gibt ja genug davon.«
Monk unterbrach sie nicht. Ihre Stimme klang gepreßter als zuvor, und der Schmerz war deutlich herauszuhören.
»Dann war da noch eine Frau. Eine, deren Mann krank ist, zu krank, um sie zu schlagen. Und dann hat’s eine dritte Frau getroffen, und nun will ich wissen, was da vorgeht.« Sie zuckte leicht zusammen. »Einige von ihnen sind kaum älter als Kinder. Kurz und gut, Mr. Monk, diese Frauen werden vergewaltigt und verprügelt. Ich habe die ganze Geschichte aus ihnen rausgeholt. Ich habe sie zu mir kommen
Weitere Kostenlose Bücher