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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Dials.
    Sie nahm ihn in ihre Wohnung mit, die aus einer Reihe überraschend gut möblierter Räume über dem Ausbeutungsbetrieb bestand. In dem Betrieb beugten dreiundachtzig Frauen im Schein des Gaslichts die Köpfe über ihre Nadeln, mit schmerzendem Rücken und tränenden Augen, die sich mühten, etwas zu sehen. Aber zumindest war es trocken, und es war wärmer als draußen auf der Straße, wo es gerade zu schneien begann.
    Vida zog sich ebenfalls um und ließ Monk währenddessen in ihrem Salon allein. Ihr Mann war unten in der Fabrik und sorgte dafür, daß niemand nachlässig wurde, mit seinem Nachbarn plauderte oder sich etwas einsteckte, was nicht ihm gehörte.
    Vida kehrte in schlichteren, schäbigeren Kleidern zurück und kam gleich zur Sache. Sie mochte zwar die Dienste eines Polizisten benötigen, aber sie hatte nicht die Absicht, überflüssigen Umgang mit ihm zu pflegen. Es war ein vorübergehender Waffenstillstand, und trotz all ihrer Freundlichkeit war Monk nach wie vor der »Feind«. Sie würde das nicht vergessen, selbst wenn er es möglicherweise tat.
    »Ich bringe Sie jetzt zuerst zu Nellie«, sagte sie, während sie sich ihren Rock glattstrich und die Schultern durchdrückte. »Hat keinen Sinn, wenn Sie da allein hingehen. Sie wird nicht mit Ihnen reden, wenn ich es ihr nicht sage. Kann man ihr keinen Vorwurf draus machen.« Vida sah Monk an, wie er da immer noch in dem behaglichen Raum stand. »Na, kommen Sie schon! Ich weiß, es regnet, aber ein bißchen Wasser wird Ihnen schon nicht schaden!«
    Monk verschluckte eine passende Antwort und folgte ihr hinaus auf die von einem eisigen Wind gepeitschte Straße, wo er alle Mühe hatte, mit ihr Schritt zu halten. Sie bewegte sich überraschend schnell, ihre Stiefel vollführten einen scharfen Trommelwirbel auf den Pflastersteinen. Vida hielt sich sehr gerade und blickte stur nach vorn. Sie hatte ihre Anweisungen gegeben und ging einfach davon aus, daß er ihnen Folge leisten würde, wenn er bezahlt werden wollte.
    Schließlich bog Vida ohne Vorwarnung in eine Gasse ein, den Kopf gesenkt gegen den Ansturm der Schneeflocken, eine Hand instinktiv erhoben, um ihren Hut festzuhalten. Selbst hier achtete sie darauf, ihren überlegenen Status zu demonstrieren, indem sie einen Hut trug statt eines Umhangs, der sie vor den Elementen geschützt hätte. Vor einer der vielen Türen blieb sie stehen und klopfte vernehmlich an. Einige Sekunden später wurde die Tür von einer rundlichen jungen Frau mit einem hübschen Gesicht geöffnet, das beim Lächeln fehlende oder fleckige Zähne offenbarte.
    »Ich will zu Nellie«, erklärte Vida schroff. »Sag ihr, Mrs. Hopgood wäre hier. Ich habe Monk mitgebracht. Sie weiß, wen ich meine.«
    Monk verspürte einen jähen Stich der Furcht, weil sein Name so gut bekannt war, daß selbst diese Frau von der Straße, von der er noch nie gehört hatte, über ihn Bescheid wußte. Er konnte sich nicht daran erinnern, überhaupt schon einmal in Seven Dials gewesen zu sein, ganz zu schweigen von einzelnen Gesichtern, die ihm möglicherweise hätten vertraut sein sollen. Er spürte deutlich, wie sehr ihm dieser Umstand zum Nachteil gereichte.
    Das Mädchen hörte den Befehlston in Vidas Stimme und ging gehorsam davon, um Nellie zu holen. Sie bat sie nicht herein, sondern ließ sie in der eisigen Gasse stehen. Vida allerdings setzte eine Einladung als selbstverständlich voraus und drückte die Tür auf. Monk folgte ihr.
    Im Haus selbst war es ebenfalls kalt, aber barmherzigerweise blieben wenigstens der Wind und der dichter fallende Schnee draußen. Die Wände im Korridor waren feucht und rochen nach Moder und dem alles durchdringenden Geruch von Exkrementen, – der Abfalleimer war nicht weit entfernt und wahrscheinlich übervoll. Vida drückte die zweite Tür auf, die in einen Raum mit einem recht großen Bett führte. Das Bett war zerwühlt und offensichtlich vor kurzem noch benutzt worden, aber es war relativ sauber, und es lagen mehrere Decken und Laken darauf. Monk vermutete, daß es eher Geschäften denn der Ruhe diente.
    In der gegenüberliegenden Ecke stand eine junge Frau. Ihr Gesicht wurde von langsam verblassenden Prellungen verschandelt und von einer bös zerschnittenen Augenbraue, deren Narbe noch nicht ganz verheilt war und die wahrscheinlich nie wieder vollends zusammenwachsen würde. Monk brauchte keine weitere Bestätigung, um zu wissen, daß die Frau schwer geschlagen worden war. Er konnte sich keinen Unfall

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