Stilles Echo
brauchen wir Sie, Mr. Monk. Wir werden Sie bezahlen.«
Einige Sekunden lang saß er da, ohne etwas zu erwidern. Wenn das, was sie sagte, der Wahrheit entsprach, dann argwöhnte er, daß die Frauen auch ein klein wenig natürliche Gerechtigkeit planten. Dagegen hatte er nichts einzuwenden. Sie wußten beide, wie unwahrscheinlich es war, daß die Polizei gegen einen Mann vorgehen würde, der Prostituierte vergewaltigte. Die Gesellschaft vertrat die Auffassung, daß eine Frau, die ihren Körper verkaufte, nur wenig oder gar kein Recht hatte, die feilgebotene Ware zurückzuhalten oder Einwände zu erheben, wenn sie wie ein Gegenstand behandelt wurde und nicht wie ein Mensch. Sie hatte sich aus der Kategorie anständiger Frauen entfernt. Allein durch ihre bloße Existenz war sie eine Beleidigung für die Gesellschaft. Niemand würde sich überanstrengen, um eine Tugend zu schützen, die nach allgemeiner Meinung nicht existierte.
Und dann waren da die häßlicheren, dunkleren Gefühle. Die Männer, die solche Frauen benutzten, verachteten sie und verachteten auch jenen Teil ihrer selbst, der sie brauchte. Bestenfalls war es eine Art Verletzlichkeit, schlimmstenfalls Scham. Oder vielleicht war das Schlimmste die Tatsache, daß sie eine Schwäche hatten, von der diese Frauen wußten. Einmal hatten sie die Dinge nicht unter Kontrolle, wie sie sie im gewöhnlichen, alltäglichen Leben unter Kontrolle hatten, und eben die Menschen, die sie am meisten verachteten, waren diejenigen, die ihre Schwäche sahen und sie in all ihrer Intimität kennenlernten. War ein Mann jemals so schutzlos der Lächerlichkeit preisgegeben, wie wenn er eine Frau, für die er ja nur Verachtung hatte, für die Benutzung ihres Körpers bezahlte, um seine Bedürfnisse zu befriedigen? Diese Frau sah nicht nur seinen nackten Leib, sondern auch einen Teil seiner Seele.
Dafür mußte er sie hassen. Und es lag ihm gewiß nichts daran, an ihre Existenz erinnert zu werden, es sei denn, er konnte ihre Unmoral verdammen und erklären, wie sehr er sich wünsche, sich von ihr und ihresgleichen zu befreien. Sich dafür ins Zeug zu legen, sie vor den vorhersehbaren Unbilden ihres erwählten Gewerbes zu schützen, war undenkbar.
Die Polizei würde niemals ernsthaft versuchen, der Prostitution einen Riegel vorzuschieben. Abgesehen von der Tatsache, daß dies unmöglich wäre, kannte man ihren Wert und wußte, daß die Hälfte der angesehenen Gesellschaft entsetzt wäre, wenn ein solches Unternehmen von Erfolg gekrönt sein sollte. Prostituierte waren wie Kanalisation, ein Thema, das weder im Salon noch sonstwo diskutiert wurde – aber sie waren unabdingbar für die Gesundheit und das Funktionieren der Gesellschaft.
Monk verspürte ein heftiges Aufwallen desselben Zorns, den Vida Hopgood empfunden hatte. Und wenn er zornig war, kannte er keine Vergebung.
»Ja«, sagte er und sah sie direkt an. »Ich übernehme den Fall. Bezahlen Sie mir genug, um davon zu leben, und ich werde alles in meinen Kräften Stehende tun, um den Mann oder die Männer zu finden, die das tun. Ich muß allerdings mit den Frauen sprechen. Sie müssen mir die Wahrheit sagen. Mit Lügen kann ich nichts anfangen.«
In Vidas Augen blitzte so etwas wie Triumph auf. Sie hatte ihre erste Schlacht gewonnen.
»Ich werde den Mann für sie finden, wenn ich kann«, fügte er hinzu. »Ich kann nicht behaupten, daß die Polizei Anklage erheben würde. Sie wissen genausogut wie ich, wie groß die Chancen sind, daß es zu einer solchen Anklage kommen würde.«
Vida stieß ein explosives Lachen voller Geringschätzung aus.
»Was Sie danach tun, ist Ihre eigene Angelegenheit«, sagte er im vollen Bewußtsein dessen, was seine Worte bedeuten konnten. »Aber ich kann Ihnen nichts sagen, bevor ich mir ganz sicher bin.«
Vida holte Luft, um Einwände zu erheben, begriff jedoch, daß es sinnlos gewesen wäre, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
»Ich werde Ihnen nichts erzählen«, wiederholte er, »bevor ich es sicher weiß. Das ist meine Bedingung.«
Sie streckte die Hand aus.
Monk ergriff sie, und sie schlug mit ungewöhnlicher Kraft ein.
Vida wartete neben dem Kamin, während Monk seine Kleidung gegen ältere Stücke eintauschte, zum einen, weil er die Kleidungsstücke, die er schätzte, nicht beschmutzen wollte, aber auch aus dem sehr viel praktischeren Grund, daß er auf diese Weise in dem besagten Viertel seiner Wege gehen konnte, ohne aufzufallen. Dann begleitete er Vida Hopgood nach Seven
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