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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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vermittelte. Sie war weder eine Dame noch eine Frau, die Umgang mit Damen pflegte.
    »Sind Sie William Monk?« fragte sie, bevor er Zeit hatte, etwas zu sagen. »Ja, ich sehe, Sie sind’s.« Sie musterte ihn unverhohlen von Kopf bis Fuß. »Sie haben sich verändert. Kann nicht direkt den Finger drauflegen, aber Sie sind anders. Die Sache ist die… sind Sie immer noch gut?«
    »Ja, ich bin ausgesprochen gut!« erwiderte er wachsam. Sie schien ihn zu kennen, aber er hatte nicht die leiseste Ahnung, wer sie war. Er wußte nur das, was er aus ihrem Aussehen schließen konnte.
    Sie lachte scharf auf. »Na, so sehr haben Sie sich vielleicht doch nicht verändert! Wir sind immer noch ganz schön von uns eingenommen, wie?« Die Belustigung verschwand aus ihren Zügen, und ihr Gesicht wurde hart und vorsichtig. »Ich will Sie engagieren. Ich kann bezahlen.«
    Es war unwahrscheinlich, daß es sich um eine Arbeit handelte, die ihm Spaß machen würde, aber er war nicht in der Position, irgendwelche Angebote auszuschlagen. Zuhören konnte er ihr auf jeden Fall. Häusliche Probleme würde sie wohl kaum haben; mit solchen Dingen würde sie gewiß spielend allein fertig.
    »Ich heiße Vida Hopgood«, sagte sie. »Für den Fall, daß Sie sich nicht erinnern.«
    Er erinnerte sich tatsächlich nicht, aber es war offenkundig, daß sie ihn aus der Vergangenheit kannte, aus der Zeit vor dem Unfall. Wieder einmal fühlte er sich qualvoll an seine Verletzlichkeit erinnert.
    »Wo liegt Ihr Problem, Mrs. Hopgood?« Er deutete auf den breiten Sessel auf der anderen Seite des Kamins, und als sie es sich bequem gemacht hatte, nahm er ihr gegenüber Platz.
    Sie warf einen Blick auf die brennenden Kohlen und sah sich dann unverhohlen in dem ansprechenden Raum mit seinen Landschaftsgemälden, den schweren Vorhängen und den alten, teuren Möbeln um. Der größte Teil der Ausstattung stammte von Monks Gönnerin, Lady Callandra Daviot, und waren Dinge, die in ihrem Landhaus überflüssig gewesen waren. Aber das brauchte Vida Hopgood nicht zu wissen.
    »Sie haben wohl ein behagliches Auskommen«, sagte sie ohne Neid. »Eine reiche Frau haben Sie nicht geheiratet, sonst würden Sie sich nicht mit anderer Leute Problemen abgeben. Außerdem waren Sie auch nicht der Typ zum Heiraten. Zu bockbeinig. Und dann stand Ihnen der Sinn wohl auch immer nur nach der Art Ehefrau, wie Sie sie nie kriegen können. Also schätze ich, Sie haben nichts von Ihrer Klugheit verloren. Deshalb bin ich hier. Es wird ‘ne Menge Geld auffressen, aber wir müssen es wissen. Wir müssen der Sache ein Ende machen.«
    »Welcher Sache, Mrs. Hopgood?«
    »Was mein Mann ist, Tom, der hat eine Fabrik. Macht Hemden und solche Sachen.«
    Monk wußte, wie die Ausbeutungsbetriebe in East End aussahen: riesige, stickige Hallen, glutheiß im Sommer, bitterkalt im Winter, wo hundert oder mehr Frauen von Sonnenaufgang fast bis Mitternacht Hemden, Handschuhe, Taschentücher und Unterröcke nähten, und das für einen Lohn, der kaum genügte, um sie selbst durchzubringen. Ganz zu schweigen von der Familie, die vielleicht von ihnen abhing. Wenn irgend jemand den Mann bestohlen hatte, würde Monk jedenfalls nicht nach dem Täter suchen.
    Vida sah seinen Gesichtsausdruck.
    Er sah sie scharf an. »Natürlich tun Sie das!« beantwortete sie ihre eigene Frage, und eine überraschende Gehässigkeit verzerrte ihren Mund. »Und was zahlen Sie für die Hemden, hm? Wollen Sie mehr zahlen? Was glauben Sie denn, was Schneider und Herrenausstatter uns für die Dinger bezahlen, he? Wenn wir mit den Preisen raufgingen, verlören wir das Geschäft. Und wem würde das was nützen? Die feinen Herren, die gern feine Hemden tragen, kaufen sie so billig, wie’s nur geht. Ich kann nicht mehr zahlen, als ich kann, klar?«
    Sie hatte einen Nerv getroffen. »Ich nehme an, Sie sind nicht zu mir gekommen, damit ich die finanzielle Lage im Schneidergewerbe reformiere?«
    In ihren Zügen spiegelte sich Verachtung wider, aber es war nicht persönlich gemeint. Und Verachtung war auch nicht das vorherrschende Gefühl, das Monk dort las. Weit dringlicher schien der eigentliche Grund zu sein, warum sie zu ihm gekommen war. Sie wollte nicht mit ihm streiten. Der Grund, daß sie ihm überhaupt gegenübersaß und sich über die natürliche Barriere zwischen ihnen hinweggesetzt hatte, war ein Zeichen dafür, wie ernst ihr die Angelegenheit sein mußte.
    Ihre Augen wurden schmal. »He! Was ist los mit Ihnen? Sie sehen irgendwie

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