Stilles Echo
Seniorpartner. Er hatte Büros in Birmingham und Manchester und auch in der City.«
Höchst angesehen, dachte Hester, aber kaum der Stoff, aus dem die Träume sind. Zumindest würde die Familie immer noch über gewisse finanzielle Mittel verfügen. Die Frage des Geldes würde wenigstens nicht weiteren Anlaß zur Sorge geben. Sie vermutete, daß Rhys auf die Universität hatte gehen sollen, um dann in die Fußstapfen seines Vaters in der Kanzlei zu treten, wahrscheinlich für den Anfang als Juniorpartner, um dann sehr bald befördert zu werden. Seine ganze Zukunft lag festgefügt und unumstößlich vor ihm. Natürlich war es erforderlich, daß er dafür eine passende Partie heiratete, besser noch eine sehr gute. Hester konnte das Netz, das sich um ihn herum zusammenzog, spüren, als sei sie selbst darin gefangen. Es war ein Leben, um das ihn Zehntausende beneidet hätten.
Sie versuchte, sich Leighton Duff vorzustellen, seine Hoffnungen für seinen Sohn, seinen Ärger und seine Frustration darüber, daß Rhys undankbar und blind war gegen sein vom Glück begünstigtes Schicksal.
»Er muß ein sehr talentierter Mann gewesen sein«, sagte sie schließlich, um das Schweigen zu überbrücken.
»Das war er«, pflichtete Sylvestra ihr mit einem geistesabwesenden Lächeln bei. »Er genoß äußersten Respekt. Die Anzahl von Leuten, die auf seine Meinung Wert legten, war außergewöhnlich hoch. Er konnte sowohl Chancen als auch Gefahren erkennen, die andere, teilweise sehr fähige und gelehrte Männer, übersahen.«
Das ließ es Hester nur um so unbegreiflicher erscheinen, warum Leighton Duff nach St. Giles gegangen war. Sie wußte nichts über seinen Charakter, abgesehen von seinem Ehrgeiz für seinen Sohn und vielleicht einen Mangel an Klugheit bei dem Bemühen, diesem Ehrgeiz zum Erfolg zu verhelfen. Aber andererseits hatte sie auch Rhys vor dem Überfall nicht gekannt. Vielleicht war er sehr eigensinnig gewesen und hatte seine Zeit vergeudet, wo er eigentlich hätte studieren sollen. Vielleicht hatte er bei der Wahl seiner Freunde, vor allem der weiblichen, eine unglückliche Hand bewiesen. Durchaus möglich, daß er, von seiner Mutter übermäßig verwöhnt, einfach nicht erwachsen werden und die volle Verantwortung für sich übernehmen wollte. Leighton Duff könnte allen Grund gehabt haben, ihm zu zürnen. Es wäre nicht das erste Mal, daß eine Mutter einen Jungen allzusehr behütete und auf diese Weise genau das Gegenteil von dem erreichte, was sie beabsichtigt hatte: Daß sie ihn für jedes dauerhafte Glück untauglich machte, so daß er immer von irgend jemand abhängig sein würde.
Sylvestra hing ihren eigenen Gedanken nach und erinnerte sich an eine freundlichere Vergangenheit.
»Leighton konnte sehr schneidig sein«, sagte sie versonnen.
»Als er jünger war, hat er Hindernisrennen geritten. Er war ein hervorragender Reiter, auch wenn er selbst keine Pferde unterhielt. Aber viele Freunde wünschten, daß er für sie ritt. Er hat oft gewonnen, weil er den notwendigen Mut hatte und das Können. Ich habe ihm schrecklich gern zugesehen, obwohl ich solche Angst hatte, daß er stürzen würde. Bei solchen Geschwindigkeiten kann ein Sturz außerordentlich gefährlich sein.«
Hester versuchte, sich Leighton Duff als wagemutigen Reiter vorzustellen. Dieses Bild paßte so gar nicht zu dem eher gesetzten Mann, den sie bisher in ihm gesehen hatte, dem trockenen Anwalt, der Eigentumsdokumente ausstellte. Wie töricht es doch war, einen Menschen anhand weniger Tatsachen zu beurteilen, wo es doch so viel mehr über ihn zu wissen gab! Vielleicht waren die Büros der Kanzlei ein kleiner Teil seines Wesens, eine praktische Seite, die die Existenzgrundlage seiner Familie sicherte und ihm gleichzeitig vielleicht auch das Geld eintrug, das er für die abenteuerliche Seite seiner selbst benötigte. Vielleicht hatten Constance und Amalia ihren Mut und ihre Träume von ihrem Vater geerbt.
»Wahrscheinlich mußte er das Reiten aufgeben, als er älter wurde«, sagte sie nachdenklich.
Sylvestra lächelte. »Ja, ich fürchte, so war es. Es wurde ihm klar, als ein Freund von uns einen sehr schlimmen Sturz erlitt. Leighton hat sich seinetwegen sehr erregt. Der Mann war nach dem Unfall ein Krüppel, lernte zwar nach sechs Monaten wieder laufen, aber es bereitete ihm ständige Schmerzen, und er konnte seinen Beruf nicht länger ausüben. Er war Chirurg und konnte die Hände nicht mehr ruhig halten. Es war eine große Tragödie. Er
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