Stilles Echo
sachlich. »So können Sie nicht schlafen. Danach hole ich Ihnen eine schmerzlindernde Arznei, die Ihnen auch helfen wird, ein wenig Ruhe zu finden. Vielleicht denken Sie das nächste Mal erst nach, bevor Sie wieder jemanden schlagen?«
Rhys biß sich auf die Lippen und starrte Hester an. Er sah unglücklich aus, ohne damit jedoch eine Entschuldigung auszudrücken. Das alles war zu kompliziert, um es ohne Worte zu erklären, und wäre es vielleicht auch dann gewesen, wenn Rhys der Sprache mächtig gewesen wäre.
Der Doktor kam am nächsten Morgen vorbei. Es war ein dunkler Tag, der Himmel schwer von Schnee, und um die Dachtraufen pfiff ein eisiger Wind. Corriden Wade kam mit von der Kälte geröteter Haut und rieb sich die Hände, damit das Blut nach der langen Kutschfahrt wieder zirkulieren konnte.
Sylvestra war erleichtert, ihn zu sehen, und kam sofort aus dem Salon, als sie seine Stimme in der Halle hörte. Hester stand auf der Treppe und konnte nicht umhin, das flüchtige Lächeln zu bemerken, mit dem er die Hausherrin bedachte. Sylvestra trat eifrig auf ihn zu, und er nahm ihre beiden Hände in die seinen, während er mit ihr sprach. Die Unterhaltung war kurz, dann kam er direkt auf Hester zu. Er nahm ihren Arm und führte sie vom Treppengeländer weg in die Mitte des Flurs, wo seine Worte von unten nicht mehr zu hören waren.
»Das sind ja keine guten Neuigkeiten«, sagte er sehr leise, als denke er dabei an Sylvestra, die immer noch unter ihnen in der Halle stand. »Sie haben ihm das Pulver verabreicht, das ich Ihnen dagelassen habe?«
»Ja, in der stärksten Dosis, die Sie empfohlen haben. Es hat ihm ein wenig Linderung geschenkt.«
»Gut«, sagte er nickend. Er sah durchgefroren, bekümmert und sehr müde aus, als hätte auch er zu wenig geschlafen. Vielleicht war er die ganze Nacht mit anderen Patienten beschäftigt gewesen. Sie hörten Sylvestras Schritte im Erdgeschoß, als sie sich dem Salon näherte.
»Ich wünschte, ich wüßte, wie ich ihm helfen kann, aber ich gestehe, daß ich mit verbundenen Augen arbeite.« Wade sah Hester mit einem bedauernden Lächeln an. »Das ist etwas ganz anderes als das Orlopdeck, auf dem ich ausgebildet wurde.« Er stieß ein trockenes kleines Lachen aus. »Dort mußte alles schnell gehen. Die Männer wurden hereingetragen und auf das Segeltuch gelegt. Sie wurden der Reihe nach behandelt, der erste, der hereingebracht worden war, wurde als erstes untersucht. Es ging darum, nach Musketenkugeln zu suchen, nach Holzsplittern – Teakholzsplitter sind giftig, wußten Sie das, Miss Latterly?«
»Nein.«
»Natürlich nicht! In der Armee hat man wohl nicht damit zu tun. Aber bei der Marine hatten wir dafür keine Männer, die von Pferden niedergetrampelt oder über den Boden geschleift wurden. Ich nehme an, solche Fälle sind Ihnen des öfteren untergekommen?«
»Ja.«
»Aber wir sind beide an Kanonenfeuer gewöhnt, an Säbelhiebe und Musketenschüsse, an Fieber…« In seinen Augen spiegelten sich all die Qualen, an die er sich erinnerte.
»Mein Gott, diese Fieberkrankheiten! Gelber Jack, Malaria…«
»Cholera, Typhus und Wundbrand«, ergänzte sie, und für einen Augenblick stand die Vergangenheit mit grauenvoller Klarheit wieder vor ihr.
»Wundbrand«, wiederholte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden. »Barmherziger, was ich an Mut gesehen habe! Ich nehme an, Sie können mir genauso viele Fälle tapferer Soldaten nennen, wie ich sie erlebt habe?«
»Ich glaube schon.« Hester wollte nicht wieder diese weißen Gesichter vor sich sehen, die zerstörten Leiber, das Fieber und die Toten, aber es erfüllte sie mit einem gewissen Stolz, der wie ein brennender Schmerz in ihr war, einen Anteil daran gehabt zu haben und ihre Erlebnisse mit diesem Mann teilen zu können, der Dinge begriff, die ein bloßer Außenstehender und Zuhörer niemals hätte begreifen können.
»Was können wir für Rhys tun?« fragte sie.
Wade holte tief Luft und stieß dann einen leisen Seufzer aus.
»Wir können nur dafür sorgen, daß er so viel Ruhe wie möglich bekommt und es einigermaßen bequem hat. Die inneren Schwellungen werden wohl mit der Zeit abklingen, es sei denn, da wären noch Verletzungen, von denen wir nichts wissen.
Seine äußeren Wunden heilen bereits, aber es ist noch sehr früh.« Er sah Hester mit tiefem Ernst an, und seine Stimme, die seine Worte Lügen strafte, wurde noch leiser. »Er ist jung, und er war früher sehr kräftig und gesund. Das Fleisch wird
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