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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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war erst dreiundvierzig.«
    Sylvestras Miene verdüsterte sich abermals. »Glauben Sie, daß Rhys in diese schreckliche Gegend gegangen sein könnte, um nach einem Freund zu suchen, der sich in Schwierigkeiten befand?« fragte sie.
    »Das scheint durchaus möglich zu sein.«
    »Ich werde Arthur Kynaston fragen. Vielleicht kann er Rhys einmal besuchen, wenn es ihm ein wenig besser geht. Das wäre sicher sehr nett für Rhys.«
    »In ein oder zwei Tagen können wir ihn fragen. Mag Mr. Kynaston Ihren Sohn?«
    »O ja. Arthur ist der Sohn von einem der engsten Freunde, die Leighton je hatte, dem Direktor von Rowntrees. Das ist eine exzellente Jungenschule hier in der Nähe.« Ihr Gesicht wurde für einen Augenblick weicher, und ihre Stimme bekam einen fröhlicheren Klang. »Joel Kynaston war ein brillanter Gelehrter und hat sich dafür entschieden, sein Leben der Aufgabe zu widmen, Jungen die Liebe zum Lernen zu vermitteln, vor allem was die Klassiker betrifft. Das ist auch der Ort, an dem Rhys Latein und Griechisch gelernt hat sowie seine Liebe zu Geschichte und alten Kulturen. Ich denke, das ist eines der größten Geschenke, die ein junger Mensch empfangen kann. Und wahrscheinlich nicht nur ein junger Mensch.«
    »Natürlich«, gab Hester ihr recht.
    »Arthur ist im gleichen Alter wie Rhys«, fuhr sie fort. »Sein älterer Bruder, Marmaduke – er wird Duke genannt –, ist ebenfalls Rhys’ Freund. Er ist ein wenig… wilder, könnte man vielleicht sagen? Intelligente Menschen sind manchmal so, und Duke ist sehr talentiert. Ich weiß, daß Leighton ihn immer für halsstarrig hielt. Er ist in Oxford und studiert klassische Philologie wie sein Vater. Jetzt, über Weihnachten, ist er natürlich zu Hause. Diese Sache muß für beide Jungen schrecklich gewesen sein.«
    Hester aß ihren Toast auf und trank den letzten Schluck Tee. Zumindest wußte sie jetzt ein wenig mehr über Rhys. Es erklärte zwar nicht, was ihm zugestoßen war, eröffnete aber doch einige Möglichkeiten.
    Nichts von dem, was sie in Erfahrung gebracht hatte, bereitete sie auf den Zwischenfall an jenem Nachmittag vor, als Sylvestra zum dritten Mal an diesem Tag ins Schlafzimmer kam. Rhys hatte ein leichtes Mittagessen zu sich genommen und war dann eingeschlafen. Er hatte Schmerzen. Das lange Liegen in mehr oder weniger derselben Haltung machte ihn sehr steif, und seine Prellungen verheilten nur langsam. Es war unmöglich zu sagen, welche inneren Verletzungen ihm Schmerzen verursachten. Er fühlte sich sichtbar unwohl, und nachdem Hester ihm einen beruhigenden Kräutertrank gegeben hatte, um ihm ein wenig Linderung zu verschaffen, fiel er in einen leichten Schlummer.
    Als Sylvestra eintrat, erwachte er.
    Rhys’ Mutter ging durch den Raum und setzte sich auf den Stuhl neben Rhys.
    »Wie geht es dir, mein Liebling?« fragte sie leise. »Hast du ein wenig geruht?«
    Er blickte starr zu ihr auf. Hester stand am Fußende des Bettes und sah den Schmerz und die Dunkelheit in seinen Augen.
    Sylvestra streckte die Hand aus und strich sanft über den nackten Arm oberhalb von Schiene und Gipsverband.
    »Es wird jeden Tag ein klein wenig besser, Rhys«, sagte sie, und ihre Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war, klang heiser vor Mitgefühl. »Es wird vorübergehen, und du wirst wieder gesund werden.«
    Er sah sie ruhig an, dann entblößte er die Zähne, und sein Gesicht verzog sich zu einer Maske kalter und abgrundtiefer Verachtung.
    Sylvestra sah ihn an, als hätte er sie geschlagen. Ihre Hand blieb auf seinem Arm liegen, wirkte aber wie festgefroren. Sie war zu erschrocken, um sich zu bewegen.
    »Rhys?«
    Wilder Haß trat in seine Züge. Als würde er sich am liebsten auf sie stürzen, um sie zu verletzen, zu stoßen, ihr Schmerzen zuzufügen.
    »Rhys?« Sie öffnete den Mund, um weiterzusprechen, aber sie hatte keine Worte mehr. Sie zog die Hand zurück, als wäre sie tatsächlich verletzt worden, und drückte sie schützend an sich.
    Seine Miene wurde weicher, die Gewalt in seinen Augen verschwand, bis er schließlich wieder schlaff und elend dalag.
    Abermals streckte sie die Hand nach ihm aus, um ihm ihr Verzeihen zu zeigen.
    Er sah sie an, wog ihre Gefühle ab, wartete. Dann hob er seine andere Hand und schlug nach ihr, daß die Schienen knarrten. Der Schlag mußte seinen gebrochenen Knochen furchtbare Qualen bereitet haben, und er wurde grau vor Schmerz, aber er sah sie an, ohne den Blick abzuwenden.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie stand

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