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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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auf, nunmehr tatsächlich körperlich verletzt, obwohl der Schmerz nichts im Vergleich zu der Verwirrung war, über die Ablehnung, die sie erfahren hatte, und über ihre eigene Hilflosigkeit. Langsam ging sie zur Tür und verließ den Raum.
    Rhys zog die Lippen zu einem langsamen, bösartigen, zufriedenen Lächeln zurück, dann drehte er sich abrupt zu Hester um.
    Hester fror innerlich, als bestünde sie plötzlich aus Eis.
    »Das war abscheulich«, sagte sie klar und deutlich. »Sie haben sich selbst Schande angetan.«
    Er starrte sie an, und Verwirrung und Überraschung spiegelten sich in seiner Miene. Was immer er von ihr erwartet hatte, das jedenfalls nicht.
    Hester fühlte sich zu angewidert und war sich Sylvestras Kummer zu sehr bewußt, um ihre Zunge im Zaum zu halten. Plötzlich erfüllte sie eine Art von Entsetzen, wie sie es noch nie zuvor gekannt hatte. Es war eine Mischung aus Mitleid und Furcht und dem Gefühl von etwas, so dunkel, daß sie es sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte ausmalen können.
    »Was Sie da getan haben, war grausam und sinnlos«, fuhr sie fort. »Ich finde es ekelhaft!«
    Zorn flammte in seinen Augen auf, dann kehrte ein Lächeln auf seine noch verzerrten Lippen zurück, als verspotte er sich selbst.
    Sie wandte sich ab.
    Sie hörte, wie er mit der Hand auf die Decke schlug. Das mußte ihm weh getan haben und würde die gebrochenen Knochen in einen noch schlimmeren Zustand bringen. Andererseits war es seine einzige Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, wenn er nicht die Glocke von seinem Nachttisch stoßen wollte. Und wenn er das tat, würden andere ihn vielleicht hören, vor allem Sylvestra, sofern sie noch nicht ganz nach unten gegangen war.
    Hester wandte sich wieder um.
    Er versuchte verzweifelt zu sprechen. Sein Kopf zuckte, seine Lippen bewegten sich, und seine Kehle krampfte sich zusammen, während er darum kämpfte, auch nur einen einzigen Laut von sich geben zu können. Es kam jedoch nichts, nur ein Ächzen nach Luft, während er schluckte und würgte.
    Hester ging zu ihm, legte den Arm um ihn und hob ihn ein kleines Stück an, damit er leichter atmen konnte.
    »Hören Sie auf damit!« befahl sie. »Aufhören! Das wird Ihnen nicht helfen, etwas zu sagen. Atmen Sie nur langsam ein und aus! Ein… aus…! Ein… aus…! So ist es besser. Und noch mal. Langsam.« Sie stützte ihn, bis sein Atem wieder gleichmäßig und kontrolliert ging, dann ließ sie ihn auf die Kissen zurücksinken. Hester sah ihn leidenschaftslos an, bis sie die Tränen auf seinen Wangen und die Verzweiflung in seinen Augen bemerkte. Er schien nichts zu wissen von seinen Händen, die mit verzogenen Schienen auf der Decke lagen und die Knochen auseinanderdehnten. Es mußte furchtbar weh getan haben, aber seine seelischen Qualen waren so groß, daß er den anderen Schmerz nicht einmal wahrnahm.
    Was, in Gottes Namen, war ihm in St. Giles widerfahren? Welche Erinnerungen tobten mit solch unerträglichem Grauen in seinem Inneren?
    »Ich werde Ihnen die Hände neu bandagieren«, sagte sie ein wenig sanfter. »So können wir sie nicht lassen. Vielleicht haben sich die Knochen sogar auseinandergezogen.«
    Rhys blinzelte, legte aber mit keiner Miene Widerspruch ein.
    »Es wird weh tun«, warnte sie ihn.
    Er lächelte und schnaubte leise, wobei er scharf den Atem ausstieß.
    Hester brauchte fast eine dreiviertel Stunde, um die Verbände von beiden Händen abzunehmen, die gebrochenen Finger und das geschwollene, über den Knöcheln gerissene Fleisch zu untersuchen und die Knochen neu zu richten. Die ganze Zeit über war sie sich der furchtbaren Schmerzen bewußt, die die Prozedur Rhys verursachen mußte. Endlich hatte sie die Schienen wieder angelegt und die Verbände erneuert. Das alles war im Grunde Aufgabe eines Arztes, und vielleicht würde Corriden Wade wütend darüber sein, daß sie es selbst gemacht hatte, statt ihn herbeizurufen. Aber sein Besuch wurde erst für den nächsten Tag erwartet, und sie war durchaus in der Lage, dies selbst zu tun. Sie hatte in der Vergangenheit wahrhaftig genug Knochen gerichtet und konnte Rhys unmöglich in diesem Zustand lassen, während sie einen Boten zu Wade schickte. Außerdem konnte der Arzt zu dieser Stunde des Abends durchaus auswärts speisen oder sogar im Theater sein.
    Anschließend war Rhys vollkommen erschöpft. Sein Gesicht war grau vor Schmerz, und seine Kleider waren schweißdurchnäßt.
    »Ich werde die Bettwäsche wechseln«, sagte sie

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