Stilles Echo
Wärme seiner Augen war ihr Anerkennung genug. Dann legte seine Stirn sich in Falten. »Was haben die beiden in St. Giles gemacht? Wenn diese Leute sich eine private Krankenschwester für den jungen Mann leisten können, dann hört es sich nicht so an, als lebten sie in diesem Viertel oder machten dort auch nur Besuche.«
»Oh, das haben sie auch nicht getan!« warf Hester mit flüchtiger Belustigung ein, die jedoch sofort wieder verebbte.
»Die Familie wohnt in der Ebury Street. Mr. Duff war Seniorpartner einer Kanzlei. Ich habe keine Ahnung, was die beiden in St. Giles getan haben. Das ist eines der Probleme, die die Polizei zu lösen versucht. Den Fall bearbeitet übrigens John Evan. Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl für mich, so zu tun, als würde ich ihn nicht kennen.«
»Aber es ist am besten so, dessen bin ich gewiß«, pflichtete er ihr bei. »Es tut mir leid, daß Ihr gegenwärtiger Fall Ihnen solchen Kummer macht.« Der Diener hatte eine Karaffe mit Wein dagelassen, von dem Rathbone Hester nun ein Glas einschenkte. »Ich vermute, daß viele Ihrer Fälle auf die eine oder andere Weise ermüdend sind?«
In diesem Licht hatte sie ihre Tätigkeit noch nicht betrachtet.
»Ja, ich denke schon. Entweder der Betreffende ist sehr krank, und es ist hart, sein Leiden mitanzusehen, oder er ist es nicht, und dann habe ich das Gefühl, nicht genug gefordert zu werden. Nicht wirklich gebraucht zu werden.« Sie lächelte plötzlich, und diesmal war ihre Heiterkeit echt. »Es ist unmöglich, mich zufriedenzustellen!«
Rathbone betrachtete das Licht, das sich durch den Wein in seinem Glas spiegelte. »Sind Sie sicher, daß Sie weiter Kranke pflegen wollen? Wenn Ihre Situation ideal wäre und Sie nicht für sich selbst zu sorgen brauchten, würden Sie es dann nicht vorziehen, sich für die Reform der Krankenhäuser einzusetzen, wie Sie es ursprünglich vorhatten?«
Hester ertappte sich dabei, daß sie plötzlich stolz aufgerichtet dasaß und sich des knisternden Feuers und der scharfen Kanten des Kristallglases in ihrer Hand mit übergroßer Klarheit bewußt war. Rathbone sah sie nicht an. Vielleicht steckte hinter seinen Worten doch keine tiefere Bedeutung? Nein, natürlich nicht! Ihre Überlegungen waren lächerlich. Die Wärme des Raumes und der Wein benebelten ihre Sinne.
»Ich habe nie darüber nachgedacht«, erwiderte sie und gab sich alle Mühe, ihrer Stimme einen beiläufigen Klang zu geben.
»Ich fürchte, die Reform wird sehr, sehr langsam vonstatten gehen, und ich habe nicht den notwendigen Einfluß, um irgend jemanden dazu zu bringen, mir zuzuhören.«
Rathbone blickte auf, und seine Augen wirkten sanft und beinahe schwarz im Kerzenlicht.
Eine Sekunde später schon hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen. Ihre Worte klangen, als habe sie es auf den größeren Einfluß abgesehen, den er indirekt angedeutet hatte… Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es war das letzte, was sie gemeint hatte. Es war nicht nur unschicklich, es war vor allen Dingen furchtbar unbeholfen! Sie spürte, wie ihr eine heiße Röte in die Wangen stieg.
Hester erhob sich und wandte sich ab. Sie mußte schnell irgend etwas sagen, aber es mußte das Richtige sein! Allzu große Eile konnte die Dinge noch verschlimmern. Es war so leicht, zu viel zu reden.
Er hatte sich mittlerweile ebenfalls erhoben und stand nun direkt hinter ihr, näher als zuvor, solange sie noch saßen. Sie war sich seiner Nähe mit allen Sinnen bewußt.
»Ich besitze diese Art von Talent im Grunde nicht«, sagte sie sehr bedächtig. »Im Gegensatz zu Miss Nightingale. Sie ist eine brillante Verwalterin und Rednerin. Sie kann eine Angelegenheit so ausdrücken, daß die Leute ihr einfach recht geben müssen, und sie gibt niemals auf.«
»Tun Sie das denn?« fragte er mit einem Lächeln in der Stimme. Sie konnte das Lachen hören, sah sich aber nicht um.
»Nein, natürlich nicht.« Rathbone und sie teilten viele Erinnerungen miteinander, als daß eine Antwort wirklich notwendig gewesen wäre. Sie hatten Seite an Seite Schlachten gegen Lügen und Gewalt ausgefochten, gegen Rätsel, Angst und Unwissenheit. Sie hatten allen möglichen Arten der Dunkelheit gegenübergestanden und sich hindurchgekämpft, um zu guter Letzt zumindest Gerechtigkeit, wenn auch nicht unbedingt eine Lösung für die betreffende Tragödie zu finden. Das einzige, was nie in Frage gekommen war, war eine Kapitulation.
Hester drehte sich jäh zu ihm um. Er stand nur einen Meter
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