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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Mann.«
    »Vielleicht«, erwiderte Shotts zweifelnd. »Soll ich das mal versuchen?«
    »Ja. Es sei denn, es fällt Ihnen etwas Besseres ein. Ich gehe aufs Revier. Es wird Zeit, Mr. Runcorn Bericht zu erstatten.«
    Shotts grinste. »Besser Sie als ich, Sir. Er wird nicht gerade glücklich sein. Ich besorge mir was zu essen, dann versuch ich’s noch mal.«
    Runcorn war ein großer, gutgebauter Mann mit magerem Gesicht und sehr ruhigen, blauen Augen. Seine Nase war lang, und seine Wangen waren ein wenig hohl, aber in seiner Jugend mußte er ein gutaussehender Bursche gewesen sein, und auch jetzt noch machte er einen imposanten Eindruck. Dieser Eindruck wäre noch stärker gewesen, hätte er über das Selbstbewußtsein verfügt, sich mit größerer Gelassenheit zu benehmen. Er saß in seinem Büro hinter seinem großen Lederschreibtisch und sah Even argwöhnisch an.
    »Nun?«
    »Es geht um den Fall Leighton Duff, Sir«, erwiderte Evan, der immer noch stand. »Ich fürchte, wir machen keinerlei Fortschritte. Wir können niemanden in St. Giles finden, der einen der beiden Männer je zuvor gesehen hat.«
    »Oder das zugeben will«, ergänzte Runcorn.
    »Shotts glaubt den Leuten«, verteidigte Evan sich, da er sehr wohl wußte, daß Runcorn ihn für zu weich hielt.
    »So, glaubt er das?« sagte Runcorn grimmig. »Dann nehmen Sie sich besser die Familie noch einmal vor. Die Witwe und den Sohn, der dabei war und nicht sprechen kann, habe ich recht?«
    »Jawohl, Sir.«
    »Wie ist sie denn so, die Witwe?« Runcorns Augen weiteten sich. »Könnte es sich um eine Art Verschwörung handeln? Der Sohn ist vielleicht dazwischengekommen? Hätte nicht dabeisein sollen und mußte zum Schweigen gebracht werden?«
    »Eine Verschwörung?« Evan war erstaunt. »Wer sollte daran beteiligt sein?«
    »Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe!« versetzte Runcorn gereizt. »Benutzen Sie Ihre Phantasie! Ist sie attraktiv?«
    »Ja, sehr. Auf eine ungewöhnliche Art und Weise.«
    »Was meinen Sie mit ungewöhnlich? Was stimmt nicht mit ihr? Wie alt ist sie? Wie alt war er?«
    Evan spürte, daß ihm die Andeutungen des anderen Mannes mißfielen.
    »Sie ist ein sehr dunkler Typ, wirkt ein wenig wie eine Spanierin. Es gibt nichts an ihr auszusetzen, es ist nur… ungewöhnlich.«
    »Wie alt?« wiederholte Runcorn.
    »Um die vierzig, würde ich sagen.« Bevor Runcorn darauf zu sprechen kam, war ihm der Gedanke überhaupt nicht gekommen, und das war ein Fehler. Jetzt, da diese Möglichkeit angedeutet wurde, lag es auf der Hand. Das ganze Verbrechen hatte möglicherweise nichts mit St. Giles zu tun, das möglicherweise nicht mehr als ein zweckmäßiger Ort gewesen war. Genausogut hätte der Mord in irgendeinem anderen Elendsviertel geschehen können, in einer Gasse oder auf einem Hof, in einem Dutzend solcher Gebiete. Vielleicht hatte der Täter lediglich einen Platz gebraucht, wo er die Leiche liegenlassen konnte und man davon ausgehen würde, daß es sich um den Überfall irgendwelcher Schurken gehandelt hatte. Es war ekelerregend. Natürlich hätte Rhys nicht dort sein sollen. Seine Anwesenheit war ein Mißgeschick. Leighton Duff war ihm gefolgt, und jemand hatte ihn dort eingeholt. Aber das mußte nicht der Wahrheit entsprechen. Dafür hatte Evan nur Sylvestras Wort. Die beiden Männer hätten jederzeit das Haus verlassen können, getrennt oder zusammen, und aus allen möglichen Gründen. Er mußte dieser Möglichkeit unvoreingenommen nachgehen, bevor er sie als Wahrheit akzeptierte. Jetzt war er wütend auf sich selbst. Monk hätte niemals einen solchen elementaren Fehler gemacht!
    Runcorn stieß einen Seufzer aus. »Daran hätten Sie denken müssen, Evan«, sagte er tadelnd. »Sie glauben, jeder, der ein ordentliches Englisch spricht, gehöre in Ihr ländliches Pfarrhaus!«
    Evan öffnete den Mund, schloß ihn dann aber wieder. Runcorns Bemerkung war ungerecht, sie entsprang nicht irgendwelchen Tatsachen, sondern Runcorns eigenen vielschichtigen Gefühlen, was Gentlemen im allgemeinen und Evan im besonderen betraf. Und zumindest ein Teil der Ursache war in Runcorns langer Bekanntschaft mit Monk zu suchen, in der Rivalität zwischen den beiden Männern, den Jahren der Unsicherheit, der vielen kleinen Kränkungen, an die Monk sich nicht erinnern und die Runcorn niemals vergessen konnte. Evan kannte die Wurzeln all dessen nicht, aber er hatte in seiner ersten Zeit bei der Polizei, nach Monks Unfall, die Konfrontation der Ideale und Charaktere dieser

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