Stilles Echo
entfernt, aber sie wüßte jetzt, was sie sagen wollte. Sie konnte nun sogar sein Lächeln erwidern.
»Ich habe einige der Tricks eines guten Soldaten gelernt. Ich wähle gern mein eigenes Schlachtfeld und auch meine eigenen Waffen.«
»Bravo«, sagte er leise, während sein Blick in ihren Zügen forschte.
Hester stand eine Sekunde lang still, dann trat sie an den Tisch, nahm auf einem der Stühle Platz und arrangierte ihre Röcke mit ungewohnter Sorgfalt. Sie fühlte sich elegant, ja sogar feminin, wobei sie gleichzeitig den Eindruck hatte, niemals stärker oder lebendiger gewesen zu sein.
Rathbone zögerte und blickte sekundenlang auf sie herab.
Sie spürte seine Gegenwart, und dennoch fühlte sie sich nicht länger unbehaglich.
Der Diener kam herein und kündigte den ersten Gang der Mahlzeit an. Rathbone gab ihm ein Zeichen, und das Essen wurde serviert.
Hester lächelte ihm quer über den Tisch hinweg zu. Sie spürte ein leises Kribbeln im Magen, aber gleichzeitig fühlte sie sich merkwürdig warm und erregt.
»Was sind denn das für Fälle, mit denen Sie zu tun haben und die keine Detektivarbeit vonnöten machen?« erkundigte sie sich. Eine Sekunde lang kam ihr Monk in den Sinn, und die Tatsache, daß Rathbone Fälle ausgewählt hatte, für die er Monks Hilfe nicht bedurfte. Konnte dahinter eine bestimmte Absicht stecken? Oder war das ein schäbiger Gedanke?
Als hätte auch er Monks Gesicht vor seinem inneren Auge gesehen, senkte Rathbone den Blick auf seinen Teller.
»Eine Vaterschaftsklage in höheren Kreisen«, sagte er mit einem schiefen Lächeln. »Es gibt da im Grunde nicht viel zu beweisen. Das Ganze ist im wesentlichen eine Angelegenheit von einigen Verhandlungen, um den Skandal in Grenzen zu halten. Es ist eine Übung in Sachen Diplomatie.« Er hob den Blick, und wie zuvor leuchtete aus seinen Augen das Lachen.
»Ich versuche herauszufinden, wieviel Druck ich ausüben kann, bevor es zum Krieg kommt. Wenn ich Erfolg habe, werden Sie nichts davon hören. Es wird lediglich eine große Summe Geld den Besitzer wechseln.« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn ich versage, wird es den größten Skandal geben, seit…« Er holte tief Atem, und sein Gesichtsausdruck spiegelte plötzlich klägliche Selbstironie.
»Seit Prinzessin Gisela«, beendete sie den Satz für ihn.
Sie lachten beide. Eine Fülle von Erinnerungen stieg in ihnen hoch, Erinnerungen, die vor allem dem furchtbaren Risiko galten, das er damals eingegangen war. Aber sie dachten auch an die Angst, die Hester um ihn gehabt hatte, an ihre Bemühungen und schließlich an ihren Erfolg, zumindest die Wahrheit aufzudecken, auch wenn sein Ansehen durch die ganze Angelegenheit Schaden gelitten hatte. Rathbone war entlastet worden, und das war wahrscheinlich das beste, was man in diesem Falle sagen konnte. Die Wahrheit oder zumindest ein guter Teil davon waren offengelegt worden. Aber einer großen Anzahl von Leuten wäre es bei weitem lieber gewesen, nichts davon zu wissen, nicht genötigt zu werden, die Sache zur Kenntnis zu nehmen.
»Und Sie werden gewinnen?« fragte sie ihn.
»Ja«, erwiderte er fest. »Diese Sache werde ich gewinnen.« Er zögerte.
Plötzlich wollte sie nicht mehr, daß er aussprach, was immer ihm auf der Zunge lag.
»Wie geht es Ihrem Vater?« fragte sie unvermittelt.
»Sehr gut«, antwortete er, und seine Stimme wurde ein wenig leiser. »Er ist gerade von einer Reise nach Leipzig zurückgekehrt, wo er eine Reihe interessanter Leute getroffen hat und, wie ich höre, nächtelang mit ihnen über Mathematik und Philosophie geredet hat. Alles sehr deutsch. Ihm hat es ungemein gefallen.«
Hester mußte unwillkürlich lächeln. Sie mochte Henry Rathbone lieber, je öfter sie ihn sah.
»Ich bin froh, daß es ihm gut geht. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal irgendwohin gereist bin.«
»Wohin würden Sie denn gern fahren?«
Sie dachte sofort an Venedig und erinnerte sich dann daran, daß Monk vor noch gar nicht langer Zeit erst dort gewesen war, zusammen mit Evelyn von Seidlitz. Es war der letzte Ort, an den sie jetzt reisen wollte. Hester blickte zu ihm auf und sah das Verständnis in seinen Augen und etwas, das vielleicht ein Aufblitzen von Traurigkeit sein mochte, das Wissen um irgendeinen Verlust oder einen Schmerz.
Es tat ihr weh. Sie wollte es auslöschen.
»Ägypten!« sagte sie mit wiedergefundener Begeisterung.
»Ich habe gerade von Signor Belzonis Entdeckungen dort gehört. Eine Spur verspätet, ich
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