Stilles Echo
interessiert. Ich habe ihm versprochen, ihm einige Zeichnungen zu bringen, falls nichts dagegen spricht?«
»Aber ja!« sagte Sylvestra schnell. »Ja, tun Sie das!« Sie wirkte erleichtert. Zumindest in dieser Hinsicht kehrte wieder Normalität ein; es war ein Augenblick, in dem die Dinge wieder in vernünftige Bahnen zurückfanden.
Fidelis erhob sich und legte eine Hand auf den Arm ihres Sohnes. »Das wäre wirklich sehr nett von dir. Jetzt sollten wir Mrs. Duff wohl ein wenig Zeit für sich gönnen.« Sie drehte sich um, verabschiedete sich von Hester und sah dann noch einmal Sylvestra an. »Wenn ich irgend etwas tun kann, meine Liebe, brauchst du es mich nur wissen zu lassen. Wenn du reden möchtest, bin ich immer bereit, zuzuhören und dann zu vergessen… selektiv. Ich verfüge über eine ausgeprägte Fähigkeit zu vergessen.«
»Es gibt so viele Dinge, die ich gern vergessen würde«, erwiderte Sylvestra beinahe unhörbar. »Ich kann nicht vergessen, was ich nicht verstehe! Lächerlich, nicht wahr? Man sollte meinen, so wäre es am einfachsten. Warum St. Giles? Das ist eine Frage, die die Polizei immer wieder stellt, und die ich nicht beantworten kann.«
»Das wirst du wahrscheinlich nie können«, sagte Fidelis trocken. »Am besten wäre es für dich wahrscheinlich, wenn du es erst gar nicht versuchen würdest.« Sie küßte Sylvestra sachte auf jede Wange, dann verließ sie den Raum, dicht gefolgt von Arthur.
Hester kam von sich aus nicht auf Sylvestras letzte Bemerkung zu sprechen, und diese schnitt das Thema ebenfalls nicht mehr an. Es war eine Geste der Höflichkeit gewesen, Hester einzuladen, und niemand schuldete ihr irgendwelche vertraulichen Erklärungen. Schließlich gingen beide Frauen nach oben, um festzustellen, ob Rhys immer noch »guten Mutes« sei. Als sie sein Zimmer betraten, döste er vor sich hin und schien sich, soweit seine Schmerzen dies zuließen, einigermaßen wohl zu fühlen.
Am Abend kam Eglantyne Wade zu Besuch. Es war das erste Mal seit der Beerdigung, daß sie das Haus betrat, und da sie zweifellos wußte, wie krank Rhys war, hatte sie offensichtlich nicht stören wollen. Hester war neugierig, was für eine Art Frau Dr. Wades Schwester wohl sein mochte. Sie hoffte, sie würde ihm ähnlich sein, eine Frau, die Mut, Vorstellungskraft und Persönlichkeit besaß und sich vielleicht mit Fidelis Kynaston vergleichen ließ.
Am Ende erwies Eglantyne sich als bei weitem hübscher oder zumindest im Aussehen bei weitem konventioneller als Fidelis, und Hester verspürte einen winzigen Stich der Enttäuschung. Ihre Gefühle waren absolut unvernünftig. Warum hätte Wades Schwester etwas von seiner Intelligenz oder seiner inneren Courage haben sollen? Ihr eigener Bruder Charles hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihr. Er war auf seine eigene Art und Weise freundlich, gefällig und unendlich berechenbar.
Hester reagierte höflich, als Sylvestra sie mit Eglantyne bekannt machte, und suchte in Miss Wades Gesicht nach irgendeinem Anzeichen eines inneren Feuers. Sie traf nur auf einen leeren Blick aus blauen Augen, in denen bestenfalls mildes Interesse stand. Selbst Sylvestras Bemerkung über Hesters Dienst auf der Krim stieß bei Miss Wade auf keinerlei Verwunderung, sondern entlockte ihr nur das gewohnte, respektvolle Murmeln, wann immer Scutari oder Sebastopol erwähnt wurden. Es schien, als höre Eglantyne Wade nicht einmal zu.
Sylvestra hatte Hester angeboten, daß sie den Abend freihaben könne. Da Oliver Rathbone Hester gerade angefragt hatte, ob ihre neue Stelle es ihr ermöglichen würde, sich für einen Abend freizumachen, wollte sie die Gelegenheit nutzen und mit Rathbone zu Abend essen. So stand sie um sieben Uhr in der Halle, bekleidet mit ihrem einzigen wirklich guten Kleid, und verspürte das unverkennbare Prickeln der Erregung, als es an der Tür läutete und Wharmby ihr sagte, daß sie erwartet werde.
Es war ein bitterkalter Abend, über den Pflastersteinen lag eine dünne Eisschicht. Die Pferde dampften, und Nebelschwaden umwogten die Laternen. Qualm und Ruß hingen schwer in der Luft über der Stadt und verschlangen das Licht der Sterne, und ein messerscharfer Wind peitschte die Tunnel entlang, die die hohen Häuserwände zu beiden Seiten der Straße formten.
Hester hatte schon einmal bei Rathbone zu Hause gespeist, aber bei der Gelegenheit war auch Monk anwesend gewesen, und sie hatten über einen Fall gesprochen und über die anzuwendende Strategie. Ansonsten
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