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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hatte Hester mehrmals mit Rathbone im Haus seines Vaters in Primrose Hill diniert, aber seiner heutigen Einladung hatte sie entnommen, daß sie diesmal ein öffentliches Lokal aufsuchen würden, wie es sich geziemte, sofern nicht eine weitere Person zum Abendessen geladen war.
    Die von Rathbone geschickte Droschke hielt vor einem einladenden Gasthaus, der Lakai öffnete Hester unverzüglich die Tür und bot ihr seine Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Dann führte man sie in einen kleinen Speisesalon, in dem Rathbone sie bereits erwartete.
    Er wandte sich von dem Kaminsims ab, an dem er gestanden hatte. Rathbone hatte sich für Abendgarderobe entschieden, und das Licht des Kronleuchters fing sich in seinem blonden Haar. Lächelnd blickte er ihr entgegen, bis sie mitten im Raum stand und die Tür sich hinter ihr schloß. Dann erst trat er auf sie zu und nahm ihre Hände in seine.
    Ihr Kleid war graublau und von strengem Schnitt, aber sie wußte, daß es ihren Augen und ihrem starken, intelligenten Gesicht schmeichelte. Rüschen hatten an ihr immer absurd gewirkt, weil sie so gar nicht zu ihrem Charakter paßten.
    »Ich danke Ihnen, daß Sie in solch großer Eile hergekommen sind«, sagte er herzlich. »Es ist eine überaus ungalante Art und Weise, eine Gelegenheit beim Schöpf zu packen, sich einzig zum Vergnügen zu treffen und nicht wegen irgendeines erbärmlichen Falles, sei er nun Ihrer oder meiner. Ich bin glücklich zu sagen, daß alle meine gegenwärtigen Fälle lediglich gewöhnliche Rechtsstreitigkeiten sind und keinerlei Detektivarbeit notwendig machen.«
    Hester war sich nicht sicher, ob das eine Anspielung auf Monk war oder einfach die Feststellung, daß sie ausnahmsweise einmal keinen anderen Grund für ihr Beisammensein hatten als die Freude an der Gesellschaft des anderen. Es war eine außergewöhnliche Bemerkung aus seinem Munde. In der Vergangenheit war er immer sehr zurückhaltend gewesen, geradezu verschwiegen, wenn es um persönliche Belange ging.
    »Und bei meinem Fall wird es keinen Prozeß geben, der Sie interessieren würde«, antwortete sie und erwiderte sein Lächeln.
    »Ich fürchte sogar, daß es überhaupt keinen Prozeß geben wird!« Sie entzog ihm ihre Hände. Dann trat er auf die Stühle in der Nähe des Feuers zu und lud sie ein, Platz zu nehmen, bevor er sich selbst setzte. Es war ein angenehmer Raum, komfortabel und abgeschieden, ohne durch zu große Intimität gegen den Anstand zu verstoßen. Es konnte jeden Augenblick jemand hereinkommen, und sie konnten das Gemurmel, Gelächter und das leise Klirren von Porzellan aus einem benachbarten Raum hören. Das Feuer brannte lodernd im Kamin, und auf dem polierten Holz eines Beistelltischchens glitzerte der Widerschein der Lichter. Der Haupttisch war mit Leinen, Kristall und Silberbesteck für zwei Personen gedeckt. »Wünschen Sie sich denn einen Prozeß?« erkundigte Rathbone sich belustigt. Seine Augen waren außergewöhnlich dunkel, und er beobachtete Hester aufmerksam.
    Sie hatte erwartet, daß sein Blick sie verunsichern würde, was er vielleicht auch tat. Aber es war auch unleugbar ein angenehmes Gefühl, selbst wenn ihre Haut plötzlich etwas wärmer war als zuvor und ihre Konzentration ein wenig ins Wanken geriet. In gewisser Weise war dieser Blick wie eine Berührung.
    »Ich würde mir sehr wünschen, daß die Schuldigen gefaßt und bestraft werden«, antwortete sie mit Nachdruck. »Es ist einer der schlimmsten Fälle, die mir je begegnet sind. Oft kann ich einen gewissen Grund für die Dinge entdecken, aber diesmal scheint es einfach ein Fall von bestialischer Gewalttätigkeit zu sein.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Ein junger Mann und sein Vater wurden in St. Giles angegriffen und grauenvoll geprügelt. Der Vater starb, der junge Mann, den ich pflege, ist schwer verletzt und kann nicht sprechen.« Unbeabsichtigt hatte sie die Stimme gesenkt. »Ich habe ihn beobachtet, als er Alpträume hatte und offensichtlich den Angriff noch einmal durchlebte. Er ist dann vor Schmerz wie gelähmt, hysterisch und verzweifelt, und er versucht wieder und wieder zu schreien, aber seine Stimme gehorcht ihm einfach nicht. Er leidet große körperliche Schmerzen, aber die seelischen Qualen sind noch schlimmer.«
    »Das tut mir leid«, sagte Rathbone und betrachtete sie ernst.
    »Es muß sehr schwer für Sie sein, das mitanzusehen. Können Sie ihm denn überhaupt helfen?«
    »Ein wenig… hoffe ich.«
    Er lächelte sie an, und die

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