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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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genausowenig wie die Ratten in dem Abfallhaufen da drüben. Vielleicht sollten Sie es mal bei einer von denen versuchen, was? Sie wollen Solidarität mit Ihresgleichen? Vielleicht reden ja die Ratten mit Ihnen, wenn Sie sie hübsch bitten!« Sarah lachte laut über ihren eigenen Witz, aber das Lachen klang brüchig. Sie hatte vor irgend etwas Angst, und als Monk sie ansah, wie sie in ihrem grauschwarzen Umhang mit gebeugten Schultern und von dem eisigen Wind zerzaustem Haar vor ihm hockte, wuchs seine Überzeugung, daß er es war, den sie fürchtete.
    Warum? Er stellte doch keinerlei Bedrohung für sie dar.
    Die Antwort mußte in der Vergangenheit liegen, in irgendeinem Ereignis, das sie schon einmal zusammengeführt hatte. Es mußte seinen Grund haben, daß sie ein Freudenfest veranstaltete, als sie ihn für tot hielt.
    Er hob sarkastisch die Augenbrauen.
    »Meinen Sie? Wären die Ratten in der Lage, die Männer zu beschreiben, die Sie geschlagen haben? Sie und all die anderen Frauen, diese armen Teufel, die den ganzen Tag in der Fabrik arbeiten und dann für die wenigen Stunden der Nacht auf die Straßen hinausgehen, um vielleicht ein klein wenig dazuzuverdienen, damit sie ihren Kindern zu essen geben können? Würden die Ratten mir erzählen, wie viele Männer daran beteiligt waren, ob sie alt oder jung waren, wie ihre Stimmen klangen, aus welcher Richtung sie kamen und in welche Richtung sie gingen, nachdem sie die vierzehnjährige Carrie Barker verprügelt und ihrer kleinen Schwester den Arm gebrochen hatten?«
    Er hatte sein Ziel erreicht. Sarah sah verletzt und überrascht zu ihm auf. Der Schmerz, den sie empfand, war echt. Für einen Augenblick war ihr Zorn auf ihn vergessen, und ihre Wut richtete sich statt dessen gegen diese Männer, gegen eine Welt der Ungerechtigkeit, in der so etwas passieren konnte. Gegen die ganze Brutalität der Angst und des Elends, die sie alltäglich um sich herum erlebte. Ihr Zorn richtete sich gegen die Gewißheit, daß es keine Vergeltung geben würde und keine Rache.
    »Und was schert das alles Sie, Sie elender Dreckskerl? Abschaum, das ist es, was Ihr doch alle seid!« Ihre Stimme klang heiser von Bitterkeit und dem Wissen um ihre eigene Hilflosigkeit, die es ihr nicht einmal möglich machte, ihn zu verletzen. Ihm mehr als einen oberflächlichen Kratzer zuzufügen, der nichts war im Vergleich zu der klaffenden Wunde, die sie langsam tötete. Sie haßte ihn dafür, haßte ihn mit der ganzen Leidenschaft der Vergeblichkeit. »Abschaum! Von den Sünden anderer Leute zu leben… Wenn wir nicht sündigen, sind wir ein Nichts. Sie würden in der Gosse kriechen und anderer Leute Abfälle wegholen – zu mehr würden Sie nicht taugen! Wo Sie doch selber nichts anderes sind als Dreck!« In ihrem Gesicht blitzte so etwas wie Zufriedenheit auf, der Vergleich gefiel ihr offensichtlich.
    Ihre Worte waren keiner Entgegnung würdig.
    »Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, ich habe es nicht auf gestohlene Kerzenleuchter oder Teekannen abgesehen…«
    »Ich habe keine Angst vor Ihnen!« zischte sie, und die Furcht leuchtete aus ihren Augen. Sie haßte ihn nur um so mehr, weil sie genau wußte, daß er sie durchschaute.
    »Ich bin nicht mehr bei der Polizei«, fuhr er fort, ohne auf ihre Einwände zu achten. »Ich arbeite privat, für Vida Hopgood. Sie bezahlt mich, und Vida schert es keinen roten Heller, woher Ihre Waren kommen oder wohin sie gehen. Sie will, daß die Vergewaltigungen und die Prügel aufhören.«
    Sarah starrte ihn an, als versuche sie, die Wahrheit in seinen Zügen zu lesen.
    »Wer hat Sie geschlagen?«
    »Ich weiß es nicht, Sie Esel!« sagte sie wütend. »Wenn ich’s wüßte, glauben Sie nicht, daß ich zu dem Mann hingehen würde und ihm die Kehle aufschneiden, diesem Bastard?«
    »Es war nur ein einziger Mann?« fragte er überrascht.
    »Nein, es waren zwei. Zumindest glaube ich das. Es war so finster wie das Herz einer Hexe, und ich konnte rein gar nichts sehen! Ha! Ich sollte wohl sagen, so finster wie das Herz eines Bullen, wie? Bloß, wer weiß schon, ob ein Bulle überhaupt ein Herz hat? Vielleicht sollten wir mal einen aufschneiden, bloß um nachzusehen?«
    »Was ist, wenn er ein Herz hat und es genauso rot ist wie Ihres?« fragte er.
    Sie spuckte aus.
    »Sagen Sie mir, was passiert ist«, beharrte er. »Vielleicht würde es mir helfen, diese Männer zu finden.«
    »Und was, wenn Sie sie finden? Wen schert das schon? Wer wird irgendwas deswegen

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