Stilles Echo
derselben grimmigen, tapferen Verzweiflung, die sie soweit gebracht hatte, ans Leben klammerten.
Monk mußte den Mann vergessen, der in sich zusammengesunken auf dem Stuhl saß und voller Verzweiflung auf die wenigen Stunden Erlösung wartete, die der Gin ihm schenken würde. Er mußte sich auf die Frau konzentrieren. Vielleicht konnte er dieses Gespräch führen, ohne dem Mann bewußtzumachen, daß seine Frau vergewaltigt worden war. Monk konnte die Sache so ausdrücken, daß sie sich nach einem ganz normalen Überfall anhörte. Es bestand ein großer Unterschied zwischen dem, was man insgeheim zu wissen glaubte, ohne es jemals direkt zuzugeben, und dem, was man auszudrücken gezwungen war, Dingen, von denen auch andere wußten und die deshalb niemals mehr vergessen werden konnten.
»Wie viele Männer waren es?« fragte er leise.
Bella wußte, wovon er sprach, und das Begreifen und die Angst waren deutlich in ihren Augen zu lesen.
»Drei.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Ja. Zuerst waren es zwei, dann ist ein dritter dazu gekommen. Woher, habe ich nicht gesehen.«
»Wo war das?«
»In dem Hof hinter der Foundry Lane.«
»Um wieviel Uhr?«
»Gegen zwei, jedenfalls soweit ich mich erinnern kann.« Ihre Stimme war sehr leise, und sie blickte kein einziges Mal zu ihrem Mann hinüber. Vielleicht wollte sie so tun, als sei er nicht dort, als wisse er nichts.
»Können Sie sich an irgend etwas erinnern, was diese Männer betrifft? Größe, Statur, Kleidung, Geruch, Stimmen?«
Bella dachte einige Augenblicke nach, bevor sie antwortete. Ein Gefühl der Hoffnung regte sich in Monk, aber vielleicht war das Torheit.
»Einer von ihnen hat irgendwie komisch gerochen«, sagte sie langsam. »Wie Gin, bloß daß es kein Gin war. Irgendwie… schärfer, sauberer.«
»Teer? Kreosot?« fragte er, zum einen, um sie zu zwingen, sich auf die Sache zu konzentrieren, zum anderen, weil er hoffte, auf diese Weise schneller zum Ziel zu kommen.
»Nein, irgendwie noch sauberer. Teer kenne ich. Und Kreosot auch. Es war auch keine Farbe oder so. Und ein Arbeiter war das bestimmt nicht, denn seine Hände waren ganz glatt. Glatter als meine!«
»Ein Gentleman?«
»Ja.«
Vida stieß ein häßliches Schnauben aus, das ihre Meinung zu diesem Thema unmißverständlich klarmachte.
»Sonst noch etwas?« hakte Monk nach. »Der Stoff ihrer Kleider, ihre Größe, Körperbau? Waren die Haare dick oder dünn, hatten sie Schnurrbärte?«
»Keine Schnurrbärte.« Bellas Gesicht war weiß, während sie an dieses Erlebnis zurückdachte, und ihre Augen waren dunkel und leer. Als sie wieder zu sprechen begann, flüsterte sie noch.
»Einer von ihnen war größer als die beiden anderen. Einer war dünn, einer schwerer. Der Dünne war furchtbar wütend, als trüge er einen unbändigen Zorn in sich. Ich denke mir, daß er vielleicht einer von den Verrückten von Limehouse ist, die chinesische Drogen nehmen und nach und nach den Verstand verlieren.«
»Opium macht aber nicht gewalttätig«, entgegnete Monk.
»Die Leute versinken normalerweise in Wachträume und liegen in verräucherten Räumen, statt durch dunkle Gassen zu irren und andere Menschen…« Er hielt gerade noch rechtzeitig inne, bevor er das Wort »vergewaltigen« ausgesprochen hätte, »… andere Menschen zu überfallen. Die Opiumsucht ist eine sehr einsame Angelegenheit. Zumindest was den Geist betrifft, wenn auch nicht den Körper. Diese Männer scheinen zusammengearbeitet zu haben, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt.« Ihr Gesicht nahm einen bitteren Zug an.
»Ich hätte gedacht, was sie mir angetan haben, könnte ein Mann auch ganz allein erledigen!«
»Aber so war es nicht?«
»Nein. Die hielten große Stücke auf sich selbst, diese Männer.« Ihre Stimme wurde noch leiser. »Einer hat gelacht. Daran werde ich mich erinnern bis zu dem Tag, an dem ich sterbe. Er hat gelacht, jawohl, direkt bevor er mir das angetan hat.«
Monk schauderte, und es war nicht allein die Kälte des Raumes, die ihn frösteln machte.
»Waren es alte Männer, oder waren sie noch jung?« fragte er weiter.
»Weiß nicht. Vielleicht jung. Sie waren ganz glatt im Gesicht, keine Schnurrbärte, nichts.« Sie berührte ihre eigene Wange.
»Nichts Rauhes.«
Junge Männer, die ausgezogen waren, das erste Mal in ihrem Leben Blut zu schmecken, dachte Monk bei sich. Die Gewalt kosten und den Rausch ihrer eigenen Macht erfahren wollten. Junge Männer, die nicht das Format hatten, in ihrer eigenen Welt etwas
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