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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Nennenswertes zu leisten. Statt dessen suchten sie hilflose Opfer, die sie beherrschen konnten, denen sie ihren Willen aufzwingen konnten, ohne daß sich jemand ihnen in den Weg stellte. Menschen, die demütigen wollten, statt selbst gedemütigt zu werden.
    War es das, was auch Evans junger Mann erlebt hatte? War er mit ein oder zwei seiner Freunde nach St. Giles gekommen, um Erregung zu suchen, den Kitzel der Macht, der für sie in ihrer eigenen Welt unerreichbar war? Und war ihr Verbrechen ausnahmsweise einmal auf überlegenen Widerstand gestoßen? War sein Vater ihm diesmal gefolgt, nur um dieselbe Strafe zu empfangen?
    Oder hatte es sich in erster Linie um einen Streit zwischen Vater und Sohn gehandelt?
    Das war möglich, aber Monk hatte nicht die geringsten Beweise. Wenn diese Vermutung zutraf, dann hatte zumindest einer der Schuldigen bereits furchtbare Rache erfahren, und Vida Hopgood konnte ihm kaum mehr Schlimmeres antun.
    Monk bedankte sich bei Bella Green und sah sich kurz nach ihrem Mann um, um festzustellen, ob es sich lohnte, mit ihm zu sprechen. An dem Ausdruck seiner Augen ließ sich unmöglich erkennen, ob er zugehört hatte. Monk sprach ihn trotzdem an.
    »Vielen Dank, daß Sie uns eingelassen haben. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag.«
    Der Mann schlug mit jäher Klarheit die Augen auf, aber er antwortete nicht.
    Bella führte sie hinaus. Das Kind war nirgends zu sehen, wahrscheinlich hielt es sich im Nebenzimmer auf. Auch Bella sagte kein Wort mehr. Sie zögerte, als wolle sie um Hoffnung bitten, aber vielleicht wollte sie Monk auch nur danken. Diese Regung lag in ihren Augen, in einer gewissen Weichheit, die eine Sekunde lang dort aufleuchtete. Aber sie blieb still, und Monk und Vida Hopgood traten auf die Straße hinaus, wo sie unverzüglich von dem immer dichter werdenden Nebel verschlungen wurden. Die Luft draußen wirkte jetzt gelblich und war vom sauren Geruch des Rauchs getränkt, so daß sie in der Kehle brannte.
    »Nun?« fragte Vida.
    »Ich werde es Ihnen sagen, wenn ich soweit bin«, gab Monk zurück. Er wäre am liebsten mit langen Schritten vorangestürmt, denn er war zu wütend, um sich Vidas gemächlicherem Tempo anzupassen, und er fror. Aber er wußte nicht, wo er sich befand oder wo sie hingingen. Er sah sich gegen seinen Willen gezwungen, auf Vida zu warten.
    Im nächsten Haus, das sie aufsuchten, war es eine Spur wärmer. Sie kamen in einen Raum, in dem ein Kanonenofen nach abgestandenem Ruß roch, aber dennoch eine recht behagliche Wärme verströmte. Maggie Arkwright wirkte aufgeräumt und gemütlich, mit schwarzen Haaren und rötlicher Haut. Man konnte sich leicht vorstellen, daß sie mit ihrer Teilzeitbetätigung recht ordentlich verdiente. Sie hatte etwas Gutmütiges und war von einem gesunden Aussehen, das durchaus attraktiv wirkte. Monk sah sich in dem Raum um: zwei weiche Sessel, ein Tisch, ein Hocker und eine Holztruhe mit drei gefalteten Decken. Ihn durchzuckte der Gedanke, ob Maggie diese Dinge vielleicht mit den Einkünften ihres Gewerbes bezahlt hatte.
    Dann fiel ihm Vidas Bemerkung ein, daß ihr Mann ein schäbiger Dieb war, und ihm klar wurde, aus welcher Quelle ihr relativer Wohlstand entspringen mochte. Der Mann kam einen Augenblick nach ihnen herein. Er hatte ein freundliches Gesicht, und die Runzeln um seine Augen verrieten Gutmütigkeit, aber sein Kopf war glattrasiert, ein Gefängnishaarschnitt, wie Monk sehr wohl wußte. Der Mann war wahrscheinlich erst vor einer Woche oder vielleicht zehn Tagen entlassen worden. Während er in Millwall oder den Coldbath Fields die Gastfreundschaft Ihrer Majestät genoß, hielt Maggie den Haushalt beisammen.
    Aus dem Nebenzimmer hörte man plötzlich lautes Gelächter, die schrille Stimme einer alten Frau und das Kichern von Kindern. Es war ein fröhliches Geräusch, arglos und sorgenfrei.
    »Was wollen Sie?« fragte Maggie höflich, aber mit einem argwöhnischen Blick in Monks Richtung. Vida war ihr bekannt, aber der Mann hatte eine Aura von Autorität, der sie nicht traute.
    Vida erklärte ihr Anliegen, und Stück um Stück entlockte Monk Maggie die Geschichte des Überfalls auf sie. Es war einer der ersten Überfälle gewesen und schien bei weitem weniger brutal geführt worden zu sein als die späteren. Maggies Bericht war farbig, und Monk hielt es für sehr wahrscheinlich, daß sie ihn um seinetwillen ein klein wenig ausschmückte. Ihre Enthüllungen hatten keinen praktischen Wert, abgesehen davon, daß sie ihm

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