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Stimme aus der Unterwelt

Stimme aus der Unterwelt

Titel: Stimme aus der Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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sicherlich Nachtdienst hatte und bis 7 Uhr aushalten mußte.
    „Das Pech verfolgt mich“, sagte
Rüdiger. „Eben telefoniere ich mit Nürnberg und höre, daß ich sofort zurück
muß. In der Firma ist der Teufel los. Ich sage denen immer, es müsse auch mal
ohne mich gehen — wenigstens für drei Tage. Aber wer will heutzutage noch
Verantwortung tragen? Da steht man einsam da. Wirklich ein Pechtag! Erst wird
mein Koffer entwendet — und jetzt das! Bitte, machen Sie mir die Rechnung.“
    „Tut mir leid für Sie, Herr Klavier.
Ich...“
    „Klawim.“
    „Verzeihung, Herr Klawim. Ich weiß
nicht, wie ich das aufschlüsseln soll. Das Zimmer haben Sie, wenn ich richtig
sah, nur zum Telefonieren benutzt. Andererseits haben wir Ihre feste Buchung
für drei Tage. Ist es Ihnen recht, wenn Sie für eine Nacht bezahlen?“
    „Selbstverständlich.“
    „Sie fahren mit dem Zug zurück?“
    Rüdiger bestätigte das — leichtsinnigerweise.
    Sofort sagte der Portier: „Aber jetzt
fährt kein Zug mehr. Sie können in Ruhe schlafen. Ich wecke Sie rechtzeitig für
den 6-Uhr-Zug. Das ist der erste.“
    „Äh...“
    Auf keinen Fall! schoß es Rüdiger durch
den Kopf. Das Käseblatt wird sicherlich schon um 4 Uhr ausgeliefert. Die Hotels
sind die ersten, denen man die Zeitungen vor die Tür legt. Froschauge könnte
blättern und mich finden. Dann wird er — statt mich zu wecken — die Bullen
anrufen.
    „Ich nehme ein Taxi bis nach München,
von dort den Zug.“ Er lächelte entsagungsvoll. „Teurer Spaß. Aber die Firma ist
wichtiger. Seit vier Generationen sind wir auf dem Weltmarkt. Mein Urgroßvater
hat Klawim und Co. aus dem Nichts aufgebaut. Das soll jetzt nicht untergehen — nur
weil sein Urenkel eine hohe Taxirechnung scheut.“
    Der Portier beeilte sich. Er war
beeindruckt.
    Fünf Minuten später stand Rüdiger auf
der Straße.
    Ein Wagen fuhr vorbei. In der Ferne
bellte ein Hund. Die Straße war leer. Der Dieb sockte los, ohne zu wissen,
wohin. Sich bei der Bahnstation rumzutreiben, war zu riskant. Nachtbar oder
Weinlokal kamen nicht in Frage. Spätestens um 2 Uhr wurde dort dichtgemacht. Außerdem
durfte er nichts mehr trinken, keinen Alkohol jedenfalls. Von einem klaren Kopf
hing nachher viel ab.
    Auf einer Parkbank übernachten?
    Zu gefährlich, entschied er. Vielleicht
war der brutale Mensch, der Mair-Chateaufort bewußtlos geschlagen hatte, nicht
weitergefahren, sondern hier ausgestiegen. Überhaupt — die Gefahr, daß man
nachts auf einer Parkbank ausgeraubt wurde, bestand immer. Oder die Bullen
fuhren Streife und hatten ein Auge auf die Grünanlagen.
    Nein! Er mußte sich woanders
verkriechen. An einem Ort, den nachts jedermann mied, wo er andererseits sicher
war und ein bißchen pennen konnte. Denn jetzt — da er kein Bett mehr hatte und
kein Dach überm Kopf — fiel ihn die Müdigkeit an, als hätte sie nur darauf
gewartet.
    Ziellos schnürte der Dieb eine Straße
entlang. Dunkle Häuser, kleine Gärten. Aber plötzlich waren keine Grundstücke
mehr da. Die Straße führte weiter.
    Na gut, dachte er, suche ich mir eine
Feldscheune.
    Doch die Straße endete am Friedhof.
    Rüdiger stand vor der Mauer. Dahinter
ragten Grabsteine und Kreuze auf. Schemenhaft nahm er sie wahr. Der starke Duft
frischer Erde durchsetzte die Nachtluft. Aber es roch auch nach welken Blumen
und modernden Kränzen.

    Rüdigers erster Gedanke war: Nee! Auf
keinen Fall! In der Friedhofskapelle nächtige ich nicht. Und im Leichenhaus
schon gleich gar nicht. Vielleicht ist dort ein Toter aufgebahrt.
    Aber der Hoteldieb blieb stehen, ließ
die Stille auf sich wirken und spürte wieder, wie die Müdigkeit an allen
Gelenken zerrte, ihm Zentnergewichte auf die Schultern lud und den Kopf blöd
machte, weil die graue Masse so träge wurde.
    Grillen geigten, und die Düfte
betäubten.
    Rüdiger trat zum schmiedeeisernen Tor
und rüttelte daran.
    Verschlossen!
    Die Nacht ist trocken und schwül,
dachte er. Ich könnte mich auf eine Grabplatte legen. Das wäre wie Schlafen bei
offenem Fenster, nein, besser. Der stumme Bewohner unter mir hat sicherlich
nichts dagegen, daß ich ihm was vorschnarche. Gespenster — die gibt’s nicht.
Dafür wird mich das erste Morgenlicht wecken. Vielleicht ein Hahnenschrei. Auf
ländlichen Friedhöfen, klar, da socken auch die Hühner umher. Ich bin dann der
erste am Bahnhof, und Bad Fäßliftl kann mich mal.
    Er spuckte in die Hände und kletterte
über das Gitter.
    Gekieste Wege.
    Die Steinchen knirschten

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