Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stimme aus der Unterwelt

Stimme aus der Unterwelt

Titel: Stimme aus der Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
Gesicht. Die Gefahr, daß er beim Rennen eine Fliege
verschluckte, bestand nicht. Was an Tims Atemtechnik lag: Einatmen immer durch
die Nase, nur zum Ausatmen den Mund öffnen. Wenn sich in diesem Moment etwas
zwischen seine Zähne verirrte, wurde es weggestoßen wie von einer Faust.
    Er horchte auf die Geräusche der Nacht.
Es raschelte und huschte in den Büschen. Der Flügelschlag eines Nachtvogels
flappte. Phosphoreszierende Augen im Gesträuch. Vermutlich eine streunende
Katze. Und natürlich zirpten die Grillen, und über einer Wiese tummelten sich
Leuchtkäfer.
    Tim erreichte die Stelle, wo die Straße
durch die Bäume führt.
    Nach seiner Schätzung war es etwa die
Hälfte der Strecke.
    Rechts der Straße lag oder stand ein
heller Klumpen — etwa von der Größe eines Kleinwagens.
    Tims Herz, das die Schlagzahl bis jetzt
nur wenig erhöht hatte, machte Angstsprünge.
    Er knipste die Taschenlampe an.
    Das trübe Licht fiel auf den
Kleinwagen.
    Er lag im Chausseegraben, der hier
einen halben Meter tief war. Das Fahrzeug war auf die rechte Seite gekippt.
    Unfall!
    Tim leuchtete hinein und war gefaßt auf
zwei bewußtlose Gestalten. Aber die Chaussee-Wanze war leer. Beschädigungen
konnte er nicht feststellen. Sämtliche Scheiben waren heil. Die Blechdellen und
Lackkratzer auf der anderen Seite fielen nicht ins Gewicht.
    Tim rannte weiter. Als er den
Waldriegel — zwischen den Tannen auch Fichten — durchquert hatte, sah er in der
Ferne Paulines Haus, jedenfalls die erleuchteten Fenster. Die Entfernung betrug
keine 1000 Meter mehr, und Tim setzte zum Endspurt an.
    Kurz vor dem Ziel entdeckte er die
beiden.
    Pauline und Gaby marschierten auf der
Straße, unterhielten sich und lachten.
    „Ich bin’s“, rief er, um ihnen keinen
Schreck einzujagen, und holte auf zu den Damen.

    Sie trugen Gabys Tasche zwischen sich,
jeder hielt einen Henkel, und Pauline rauchte schon wieder. Offenbar war das
ihre einzige Unart, aber die pflegte sie.
    „Hallo, wer kommt denn da.“ — „Dein
Ritter ist besorgt.“ — „So müßte Sigi sein.“ — „Ja, auf Tim ist Verlaß. Sonst
wäre er nicht mein Freund.“ — „Ach, der Anruf. Deshalb.“ Die Damen schnatterten
durcheinander.
    Tim kam nicht zu Wort und machte auch
nicht den Versuch, gegen zwei weibliche Wesen anzureden.
    Gaby belohnte ihn mit einem Bussi.
    Pauline entschuldigte sich für ihre
unordentliche Frisur, was in der Dunkelheit allerdings nicht zu sehen war. Die
Industriellen-Witwe hatte ihre Wäscheklammer verloren, weshalb sich der
Pferdeschwanz auflöste. Das Silberhaar hing vermutlich naturbelassen auf die
T-Shirt-Schultern hinab.
    „Was ist mit Ihrem Auto passiert,
Pauline?“ fragte Tim. „Es liegt da im Straßengraben und fürchtet sich — so ganz
allein in der finsteren Nacht.“
    „Da hatten wir Glück“, sagte die Frau und
gab ihm Gabys Tasche zum Tragen. „Ich bin einem Wildkaninchen ausgewichen. Das
blöde Vieh lief mir direkt vor die Räder. Das Scheinwerferlicht hat es
vermutlich geblendet. Jedenfalls mußte ich ausweichen. Ich bremse nicht nur
wegen Tieren, ich fahre ihretwegen auch in den Graben. Zum Glück hatten wir nur
30 Sachen drauf. Aber ein bißchen geprellt haben wir uns doch. Gaby tut der Po
weh.“
    „Nicht sehr“, meinte Tims Freundin.
Offensichtlich war ihr das peinlich.
    „Wir haben uns bemüht, mein Wägelchen
wieder flottzumachen.“ Pauline lachte. „Aber uns schwachen Geschöpfen ist das
nicht geglückt.“ Sie machte eine ausholende Geste. „Da sind wir. Meine Hütte.“
    Was sie Hütte nannte, war ein
alpenländisches Zwölf-Zimmer-Landhaus allerfeinster Bauart, ähnlich Holmanns
Besitz, aber um annähernd 100 Quadratmeter größer. Weiße Mauern, dunkles Holz,
auch hier ein gewaltiger Dachstuhl, außerdem Vorplatz, Terrasse für eine
50-Personen-Party und ein Außenkamin, in dem man einen Ochsen braten konnte.
    Durch die Fenster sah man in
erleuchtete Räume. Überall im Parterre.
    Tim rätselte, welchen Nutzen das hatte.
Damit konnte sich doch jeder Einbrecher ausrechnen, daß niemand im Haus war.
    Aber es kam noch schlimmer.
    Als Pauline die Haustür aufschließen
wollte, stellte sie fest: Sie war offen.
    „Das passiert mir bisweilen“, erklärte
sie, „daß ich das Abschließen vergesse. Hier auf dem Land ist das nicht
tragisch.“
    Gaby fröstelte. „Dann kann ja jeder
rein.“
    „Es war bestimmt niemand da.“
    „Pauline, darauf möchte ich mich nicht
verlassen“, meinte Tims Freundin. „Die

Weitere Kostenlose Bücher