Stimmen der Angst
fächerförmig ausgebreiteten Zeitschriften auf dem Tisch deutete, »sind aktuelle Ausgaben.« Er lächelte. »Zur Abwechslung mal eine Arztpraxis, die sich nicht als Friedhof für die Medienerzeugnisse vergangener Jahrzehnte versteht.«
»Sehr aufmerksam.«
Ahriman legte Dusty beruhigend die Hand auf die Schulter. »Sie wird wieder ganz gesund werden, Mr. Rhodes.«
»Sie ist eine Kämpfernatur.«
»Haben Sie Vertrauen.«
»Das habe ich.«
Der Psychiater kehrte zu seiner Patientin zurück.
Hinter ihm fiel die Tür mit einem dumpfen, aber schweren Schlag ins Schloss und verriegelte sich automatisch. Sie hatte auf der Außenseite keine Klinke. Man konnte die Tür nur vom Sprechzimmer aus öffnen.
48. Kapitel
Schwarz von Kopf bis Fuß. Augen blau wie Tiffany. Ihr Licht wie Lampen.
Zufrieden feilte Ahriman dieses Haiku im Geist, während er zu Martie Rhodes zurückkehrte und ihr gegenüber in seinem Sessel Platz nahm.
Wortlos betrachtete er ihr Gesicht, Zug für Zug, dann als Ganzes, und ließ sich viel Zeit dabei. Er war neugierig, ob sein langes Schweigen sie nervös machen würde.
Sie wartete ohne erkennbares Zeichen von Unruhe oder Unbehagen, weil sie offensichtlich darauf vertraute, dass der Arzt mit seiner stummen Begutachtung einen diagnostischen Zweck verfolgte, den er ihr zu gegebenem Zeitpunkt erklären würde.
Dr. Ahriman hatte Martie und Dustin Rhodes, ähnlich wie bei Susan Jagger, bereits zu einem früheren Zeitpunkt suggeriert, dass sie sich in seiner Praxis völlig sicher und geborgen fühlten und dass sein bloßer Anblick eine beruhigende Wirkung auf sie hatte.
Fünf Sätze hatte er wie kleine Gebete in ihrem Unterbewusstsein eingebettet, die sie, jeden für sich oder zusammen als ein langes, besänftigendes Mantra, heranziehen konnten, wenn sie in seiner Gegenwart von Zweifeln oder Unruhe überfallen wurden. Hier ist man gut aufgehoben. Dr. Ahriman ist ein hervorragender Psychiater. Jetzt, da Dr. Ahriman sich um mich – oder in Dustins Fall: um Martie – kümmert, wird alles wieder gut werden. Dr. Ahriman ist sehr um das Wohl seiner Patienten besorgt. Dr. Ahriman wird das Problem aus der Welt schaffen. Selbst wenn sie beide bei vollem Bewusstsein waren, würden diese meditativen Sätze sie ohne ihr Wissen in der Überzeugung bestärken, dass Dr. Mark Ahriman ihre einzige Hoffnung war.
Es hatte ihn in höchstem Maße belustigt zu sehen, wie die beiden vertrauensselig lächelnd genickt hatten, obwohl sie sich eigentlich hätten wundern müssen, dass ihre Angst so plötzlich von ihnen abgefallen war. Und war es nicht zum Brüllen komisch, dass dieser Mann ihm seine Frau überaus dankbar anvertraute, obwohl er doch nichts anderes im Sinn hatte, als sie zu demütigen, zu erniedrigen, in den Schmutz zu treten und am Ende zu vernichten?
Nach der unvorhergesehenen Halbzeitpause, die durch Susans Selbstmord eingetreten war, ging das Spiel nun weiter.
»Martie?«, sagte er.
»Ja, bitte?«
»Raymond Shaw.«
Ihre Haltung änderte sich schlagartig. Steif und kerzengerade richtete sie sich in ihrem Sessel auf. Das leise Lächeln, das ihr so gut stand, erstarrte und verschwand dann aus ihren Zügen. »Ich höre«, sagte sie.
Nachdem er sie durch die Nennung des Namens aktiviert hatte, lud er nun das ausgeklügelte Programm, das in ihrem persönlichen Haiku so perfekt verschlüsselt war. »Vom Westen wehen …«
»Du bist der Westen und der Westwind«, sagte sie gehorsam.
»… die Blätter durch die Lüfte …«
»Die Blätter sind deine Befehle.«
»… im Osten strandend.«
»Ich bin der Osten«, sagte Martie. Nun würden sich alle Befehle, die ihr der Arzt gab, wie Herbstlaub in ihrem Unterbewusstsein anhäufen und in dessen warmen Tiefen zu einem reichen Nährboden heranreifen.
*
Als Dusty die schwarze Lederjacke von Martie an den Garderobenhaken hängte, fühlte er in der rechten Tasche das Buch. Es war der Roman, den sie, zwar nicht von Anfang an, aber seit mindestens vier, fünf Monaten immer mitnahm, wenn sie Susan hierher begleitete.
Das Taschenbuch sah noch so neu aus, als wäre es gerade erst in der Buchhandlung angeliefert und in ein Regal geräumt worden, obwohl Martie doch behauptet hatte, es sei eine spannende Lektüre. Der Rücken war glatt, ohne den kleinsten Knick. Als er die Seiten über den Daumen streichen ließ, stellte er fest, dass sie vollkommen glatt und jungfräulich waren, als wären sie direkt aus der Buchbinderei gekommen und noch nie aufgeschlagen
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