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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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wurde.

47. Kapitel
    Diese dunkle Färbung, die das Meer mitten am helllichten Tag annahm, wirkte so unheilvoll, als würden sich finstere Urkräfte aus unergründlichen Tiefseegräben erheben und sich in alle Himmelsrichtungen bis an die Ufer ausdehnen.
    Der Himmel hatte sich vollständig hinter der grauen Wolkendecke versteckt, an der er schon seit dem frühen Morgen strickte, und ließ jetzt keinen winzigen Fleck Blau mehr sehen, der sich im Wasser hätte spiegeln und ihm Farbe geben können, keinen Sonnenstrahl, der auf den Wellenzähnen geblitzt hätte. Aber das erklärte für Dusty noch keineswegs, warum der bleigraue, mit einem Netz schwarzer Adern überzogene Pazifik so viel dunkler war, als er es zu dieser Tageszeit hätte sein dürfen.
    Aus der Höhe des vierzehnten Stockwerks betrachtet, wirkte auch die Küstenlinie bedrohlich – die im Schatten liegenden Strände, die Buckellandschaft im Süden und die dicht besiedelte Ebene im Westen und Norden. Das Grün der Natur sah aus, als wäre es dünn auf schimmelgraue Grundierung gemalt, alles von Menschenhand Geschaffene wie Schutt, der darauf wartete, von einem gewaltigen Erdbeben oder einer atomaren Katastrophe verschlungen zu werden.
    Als Dusty den Blick von dem Panoramafenster, das die gesamte Breite des Raums einnahm, abwandte, fiel das merkwürdige Unbehagen so plötzlich und vollständig von ihm ab, als wäre es durch einen Knopfdruck abgeschaltet worden. Das Sprechzimmer übte eine beruhigende Wirkung aus mit seinen mahagonigetäfelten Wänden, den auf Bücherborden ordentlich aufgereihten Werken der Fachliteratur, der Sammlung von Diplomen und sonstiger Prüfungsurkunden von den angesehensten Universitäten des Landes, dem warmen bunten Schein von drei nachgemachten Tiffany-Lampen – oder war es echtes Tiffany? – und der geschmackvollen Einrichtung. Schon die Erleichterung, die er empfunden hatte, als er mit Martie in Ahrimans Wartezimmer ankam, hatte ihn überrascht; hier nun ging die Erleichterung in eine Stimmung über, die man fast als heitere Ruhe bezeichnen konnte.
    Sein Sessel stand an dem Panoramafenster, etwas abseits von Martie und Dr. Ahriman, die sich an einem niedrigen Tisch gegenübersaßen. So ruhig und beherrscht, wie er Martie nicht mehr erlebt hatte, nachdem er ihr am Vorabend in der Garage begegnet war, sprach sie über ihre Panikattacken. Der Psychiater hörte ihr aufmerksam zu, mit einem Ausdruck ehrlicher Anteilnahme, den Dusty sehr angenehm fand.
    Dusty war davon sogar so angenehm berührt, dass er unwillkürlich vor sich hin lächelte.
    Hier war man gut aufgehoben. Dr. Ahriman war ein hervorragender Psychiater. Jetzt, da Dr. Ahriman sich um Martie kümmerte, würde alles wieder gut werden. Dr. Ahriman war sehr um das Wohl seiner Patienten besorgt. Dr. Ahriman würde das Problem aus der Welt schaffen.
    Dusty wandte sich wieder dem Fenster zu und sah auf das Meer hinaus, das ihm wie ein gewaltiger Sumpf vorkam, als wäre das Wasser ein solcher Morast aus Algen und Schlamm, dass sich an seiner Oberfläche nur flache, ölige Wellen bilden konnten. In dem eigenartigen Licht, das derzeit herrschte, wirkten die Schaumkronen auch nicht weiß, sondern fleckig grau und chromgelb.
    An Wintertagen sah das Meer, wenn der Himmel bewölkt war, nicht selten so aus, aber noch nie hatte er den Anblick als dermaßen bedrohlich empfunden. Bis jetzt hatte er an einem solchen Schauspiel der Natur eher die besondere, herbe Schönheit wahrgenommen.
    Eine innere Stimme der Vernunft sagte ihm, dass er Gefühle in dieses Bild projizierte, die damit rein gar nichts zu tun hatten, deren Auslöser an ganz anderer Stelle zu suchen war. Das Meer war wie immer nichts weiter als ein Meer, und die wahre Ursache seines Unbehagens lag anderswo.
    Der Gedanke war verblüffend, denn innerhalb dieses Raums gab es nichts, was sein Gefühl gerechtfertigt hätte. Hier war man gut aufgehoben. Dr. Ahriman war ein hervorragender Psychiater. Jetzt, da Dr. Ahriman sich um Martie kümmerte, würde alles wieder gut werden. Dr. Ahriman war sehr um das Wohl …
    »Wir müssen uns noch länger unterhalten«, sagte Dr. Ahriman, »noch weitere Erkenntnisse gewinnen, bevor ich eine abschließende Diagnose äußern kann. Aber ich wage zu behaupten, dass ich Ihr Problem bereits jetzt beim Namen nennen kann, Mrs. Rhodes.«
    Gespannt beugte sich Martie ein Stück vor, und Dusty sah, dass sie die vorläufige Diagnose des Psychiaters mit einem leisen Lächeln, ohne jeden Anflug von

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