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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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eigene Unsicherheit Susans Ängste noch verstärken – und umgekehrt vermutlich auch.
    Vor dem hohen Spiegel stehend, konnte sie nichts dann entdecken, das ihren Puls beschleunigt hätte. Sie zwang sich zu einem Lächeln, das aber gekünstelt wirkte. Als sie ihrem Blick im Spiegel begegnete, wandte sie rasch die Augen ab und schob die Türen zur Seite.
    Während Martie den Regenmantel vom Bügel nahm, ging ihr plötzlich die Frage durch den Kopf, ob die merkwürdigen Angstanfälle nicht etwas damit zu tun hatten, dass sie im vergangenen Jahr so viel Zeit mit Susan verbracht hatte. Vielleicht war es ganz normal, dass ein kleines Quäntchen Ängstlichkeit überschwappte, wenn man ständig mit einem Menschen zusammen war, der an einer ausgeprägten Phobie litt.
    Ein Anflug von Schamröte überzog Marties Wangen. Es schien ihr abwegig, boshaft und ungerecht der armen Susan gegenüber, eine solche Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen. Phobien und Panikattacken waren keine ansteckenden Krankheiten.
    Sie wandte sich ab, langte hinter sich, um die Schranktüren zuzuschieben, und fragte sich dabei, welchen Fachausdruck die Psychologen benutzten, um die Angst vor dem eigenen Schatten zu benennen. Die Angst vor offenen Plätzen, unter der Susan litt, hieß Agoraphobie. Aber vor Schatten? Spiegeln?
    Erst als sie vom Flur ins Wohnzimmer zurückging, wurde ihr bewusst, dass sie die Tür mit dem Rücken zum Schrank zugemacht hatte, um nicht noch einmal in den Spiegel sehen zu müssen. Erschrocken über ihr von unbewusster Abneigung bestimmtes Verhalten, überlegte sie kurz, ob sie noch einmal umkehren und in den Spiegel blicken sollte.
    Susan beobachtete sie von ihrem Sessel aus.
    Der Spiegel konnte warten.
    Den Regenmantel vor sich ausgebreitet, trat Martie an den Sessel. »Steh auf, zieh das an und komm in die Gänge!«
    Ganz elend bei dem Gedanken, ihr geschütztes Plätzchen verlassen zu müssen, umklammerte Susan die Sessellehnen. »Ich kann nicht.«
    »Wenn du eine Sitzung nicht mindestens achtundvierzig Stunden vorher absagst, musst du sie bezahlen.«
    »Ich kann es mir leisten.«
    »Nein, das kannst du nicht. Du hast nicht einmal ein eigenes Einkommen.«
    Von allen psychischen Erkrankungen hätte nur eine unbeherrschbare Pyromanie Susans Karriere als Immobilienmaklerin nachhaltiger zunichte machen können als ihre Agoraphobie. Im Inneren eines Hauses, während sie die Kunden herumführte, hatte sie sich noch einigermaßen sicher gefühlt, aber sobald sie von einem Objekt zum nächsten fahren musste, war sie von einem derart lähmenden Entsetzen befallen worden, dass es ihr unmöglich war, einen Wagen zu lenken.
    »Ich habe die Mieteinnahmen«, sagte Susan in Anspielung auf den monatlichen Scheck von den unter ihr wohnenden Sittichfreunden im Ruhestand.
    »Die nicht einmal Hypothekenzahlungen, Grundsteuern, Strom- und Wasserkosten und Reparaturarbeiten am Haus ganz decken.«
    »Das Haus ist nach Abzug sämtlicher Belastungen noch einiges wert.«
    Was eines Tages der letzte Puffer zwischen dir und der völligen Verarmung sein könnte, wenn du diese verdammte Phobie nicht überwindest, dachte Martie, brachte es aber nicht über sich, die Worte auszusprechen, auch wenn diese trübe Aussicht Susan vielleicht dazu bewegt hätte, sich aus dem Sessel zu erheben.
    »Abgesehen davon«, sagte Susan, indem sie das Kinn in einer wenig überzeugenden Geste trotziger Tapferkeit vorreckte, »schickt Eric mir jeden Monat einen Scheck.«
    »Aber keinen großen. Kaum mehr als ein Taschengeld. Und wenn sich der Scheißkerl von dir scheiden lässt, kriegst du vielleicht gar nichts mehr von ihm. Schließlich hast du mehr Kapital in die Ehe eingebracht als er, und es sind keine Kinder da.«
    »Eric ist kein Scheißkerl.«
    »Entschuldige, dass ich mich nicht klar genug ausgedrückt habe. Er ist ein Schwein.«
    »Sei nicht unfair, Martie.«
    »Ich bin, wie ich bin. Er ist ein Stinktier.«
    Susan war entschlossen, sich nicht in Selbstmitleid und Tränen zu ergehen, was im höchsten Maße bewundernswert war, aber sie war ebenso wild entschlossen, ihre Wut zu verleugnen, und das war weniger gut. »Es hat ihn einfach fertig gemacht, mich so zu sehen … Er konnte es nicht mehr aushalten.«
    »Ach, der arme empfindsame Schatz«, sagte Martie. »Und ich nehme an, es hat ihn dermaßen deprimiert, dass ihm der Teil des Ehegelübdes, in dem es heißt: ›In guten wie in schlechten Tagen‹, schlicht entfallen ist.«
    Marties Zorn auf Eric war

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