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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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erfüllte Martie nicht mit dem gleichen Entsetzen wie ihr Schatten und ihr Spiegelbild im Bad. Dennoch und obwohl sie sich ihre eigenartige Reaktion nicht erklären konnte, löste es ein Gefühl des Unbehagens in ihr aus.
    »Martie? Alles in Ordnung?«
    »Ja, klar, gehen wir.«
    Susan drehte am Türknauf, zögerte dann aber, die Küchentür zu öffnen.
    Sachte griff Martie nach der Hand ihrer Freundin, und gemeinsam zogen sie die Tür nach innen und ließen das kalte, graue Licht und den schneidenden Wind herein.
    Bei dem Gedanken, in die schutzlose Welt hinaustreten zu müssen, die sich hinter der Schwelle öffnete, wich Susan alle Farbe aus den Wangen.
    »Wir haben das schon hundert Mal getan«, sagte Martie, um ihr Mut zu machen.
    Krampfhaft umklammerte Susan den Türpfosten. »Ich kann da nicht rausgehen.«
    »Du wirst«, sagte Martie bestimmt.
    Als Susan Anstalten machte, in die Küche zurückzukehren, verstellte Martie ihr den Weg.
    »Lass mich rein, es ist zu schlimm, ich leide Todesqualen! «
    »Ich leide auch Todesqualen«, sagte Martie nur.
    »Blödsinn.« Das Entsetzen zeichnete mit seinen hässlichen Krallen Susans schönes Gesicht, animalische Angst verdunkelte das Grün ihrer Dschungelaugen. »Du ziehst dich doch daran hoch, du genießt es, du bist verrückt.«
    »Nein, ich bin nur gemein.« Martie hielt sich mit beiden Händen am Türpfosten fest, um sich einen sicheren Stand zu verschaffen. »Ich bin die gemeine Schlampe. Du bist das verrückte Huhn.«
    Unvermittelt gab Susan ihre Bemühungen, Martie aus dem Weg zu stoßen, auf und klammerte sich haltsuchend an sie. »Verdammt, ich will das versprochene Mittagessen vom Chinesen!«
    Martie beneidete Dusty, der an diesem Morgen keine größere Sorge haben würde als die Frage, ob der Regen noch lange genug auf sich warten ließ, damit er mit seinen Leuten ein paar Arbeiten erledigen konnte.
    Die ersten dicken Regentropfen klatschten – zuerst in vereinzelt Schlägen, dann als immer schnelleres Geprassel – auf das Vordach.
    Endlich wagten sie den Schritt über die Schwelle und standen draußen. Martie zog die Tür hinter sich zu und schloss sie ab.
    Die Austreibungsphase lag hinter ihnen. Aber das, was noch vor ihnen lag und was Martie noch nicht sehen konnte, war viel schlimmer.

6. Kapitel
    Skeet hechtete über die steile Dachschräge auf die Regenrinne zu. Darauf bedacht, einen Absprungpunkt zu treffen, von dem aus er bestimmt auf dem mörderischen Pflaster anstatt auf einem weichen Matratzenlager landen musste, hüpfte er über die orangebraunen, gewölbten Ziegel wie ein Kind, das über eine kopfsteingepflasterte Straße zum Eisverkäufer rennt, und Dusty jagte ihm in grimmiger Entschlossenheit nach.
    Für einen Zuschauer, der die Männer von unten beobachtete, musste es so aussehen, als hätten beide den Verstand verloren und erfüllten nun einen Selbstmordpakt, den sie miteinander geschlossen hatten.
    Sie hatten schon mehr als die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als Dusty Skeet einholte und ihn packte, vom eingeschlagenen Weg wegriss und gemeinsam mit ihm quer über das Dach nach unten stolperte. Ein paar Ziegel zerbrachen unter ihren Tritten, und kleine Mörtelstückchen kullerten in Richtung Regenrinne. Auf diesem in Bewegung geratenen Geröll die Balance halten zu wollen glich in etwa dem Versuch, auf Murmeln zu laufen, noch erschwert durch den Regen, die glitschigen Flechten und Skeet, der sich, heftig um sich schlagend, mit spitzen Ellbogen und unter fröhlich-kindlichem Gekicher, energisch gegen den Rettungsversuch zur Wehr setzte. Sein unsichtbarer Tanzpartner, der Tod, schien Skeet eine übernatürliche Trittsicherheit und Eleganz der Bewegung zu verleihen, bis Dusty strauchelte und den Jüngeren mit sich zu Boden riss, worauf sie gemeinsam die letzten paar Meter abwärts schlitterten, auf die Matratzen zu oder auch nicht – Dusty hatte längst die Orientierung verloren –, und einen Abgang über die Dachrinne machten, die ein klimperndes Geräusch von sich gab, als wäre eine Basssaite angeschlagen worden.
    Im Fallen ließ er Skeet los, und plötzlich musste er an Martie denken: an den frischen Duft ihres seidigen schwarzen Haars, an ihr schelmisches Lachen, ihre ehrlichen Augen.
    Zehn Meter waren keine extreme Höhe, nicht mehr als drei Stockwerke, aber genug, um auch den dicksten Schädel zu spalten, genug, um ein Rückgrat so mühelos zu zerbrechen wie eine Salzstange; als Dusty daher mit dem Rücken zuerst auf dem

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