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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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bei ihr auslösen.
    Das Wohnzimmer war hell erleuchtet, sämtliche Lampen brannten. Mit seinen dicht verhängten Fenstern und der unnatürlichen Stille strahlte es dennoch eine eigenartige Begräbnisstimmung aus.
    Susan saß wartend, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf in einem der Sessel. Sie war in einen schwarzen Rock und einen schwarzen Pullover gekleidet, wodurch ihre Körperhaltung das Bild einer Trauernden vermittelte. Ihrer äußeren Erscheinung nach zu urteilen, hätte das Buch, das sie in Händen hielt, die Bibel sein müssen, aber es war ein Kriminalroman.
    »War es der Gärtner?«, fragte Martie, während sie auf der Sofakante Platz nahm.
    Ohne den Kopf zu heben, antwortete Susan: »Nein. Die Nonne.«
    »Gift?«
    Den Blick immer noch starr auf das Taschenbuch gerichtet, sagte Susan: »Zwei mit einem Beil. Einen mit einem Hammer. Einen mit einer Drahtschlinge. Einen mit einem Schneidbrenner. Und zwei mit einer Nagelpistole.«
    »Bah, eine Nonne als Serienmörderin.«
    »Unter einer Nonnentracht lassen sich eben viele Waffen verstecken.«
    »Die Krimis haben sich verändert, seit wir sie als Schülerinnen gelesen haben.«
    »Nicht unbedingt zum Positiven«, sagte Susan und klappte das Buch zu.
    Die beiden waren beste Freundinnen, seit sie zehn waren: achtzehn Jahre, in denen sie mehr geteilt und zusammen erlebt hatten als Krimis – Hoffnungen, Ängste, glückliche und traurige Momente, Lachen, Weinen, Lästern, jugendliche Schwärmereien, schwer erkämpfte Einsichten. In den vergangenen sechzehn Monaten, seit dem Tag, an dem Susans rätselhafte Panikattacken begonnen hatten, hatten sie allerdings mehr Kummer und Leid geteilt als glückliche Momente.
    »Ich hätte dich anrufen sollen«, sagte Susan. »Es tut mir Leid, aber ich kann heute nicht zur Therapie gehen.«
    Es war ein Ritual, und Martie spielte wie immer ihre Rolle. »Natürlich kannst du, Susan. Und du wirst hingehen.«
    Susan legte das Buch aus der Hand und schüttelte den Kopf. »Nein, ich rufe Dr. Ahriman an und sage ihm, dass ich krank bin. Bei mir ist eine Erkältung im Anzug, vielleicht sogar eine ausgewachsene Grippe.«
    »Du klingst aber überhaupt nicht verschnupft.«
    Susan verzog das Gesicht. »Es ist eher eine Magen-DarmGrippe.«
    »Wo ist das Fieberthermometer? Wir messen am besten deine Temperatur.«
    »Ach, Martie, schau mich doch an! Ich sehe entsetzlich aus. Ich habe ein Teiggesicht und rote Augen, und meine Haare sind wie Stroh. So kann ich nicht aus dem Haus gehen.«
    »Komm auf den Boden, Susan. Du siehst genauso aus wie immer.«
    »Ich fühle mich zum Kotzen.«
    »Julia Roberts, Sandra Bullock, Cameron Diaz – die würden alle einen Mord dafür begehen, so auszusehen wie du, selbst wenn dir speiübel ist und du dir die Seele aus dem Leib kotzt, was ja wohl nicht der Fall ist.«
    »Ich bin eine Missgeburt.«
    »Ach ja, ich vergaß, du bist ja der Elefantenmensch. Wir werden dir einen Sack über den Kopf stülpen und die kleinen Kinder vor dir warnen müssen.«
    Wäre Schönheit eine Last, Susan wäre unter ihr zusammengebrochen. Aschblond, grünäugig, zierlich, mit fein gemeißelten Gesichtszügen und einer Haut, die so makellos war wie ein Pfirsich im Garten Eden, hatte sie in ihrem Leben mehr Köpfe verdreht als alle Chiropraktiker des Landes zusammen.
    »Ich platze aus allen Nähten. Ich bin fett.«
    »Eine wahre Tonne«, sagte Martie spöttisch. »Ein Schlachtschiff. Ein richtiger Ballon von einer Frau.«
    Obwohl sie in ihrer selbst auferlegten Gefangenschaft keine andere sportliche Betätigung hatte als den Hausputz und das Gehen auf einem Laufband im Schlafzimmer, hatte Susan ihre schlanke Figur behalten.
    »Ich habe über ein Pfund zugenommen«, sagte Susan störrisch.
    »Du meine Güte, was für ein Fall von akuter Fettsucht«, rief Martie, indem sie vom Sofa aufsprang. »Ich hole deinen Regenmantel. Wir können den Schönheitschirurgen vom Auto aus anrufen und ihm sagen, er soll eine Maschinenpumpe besorgen, die stark genug ist, das ganze Fett abzusaugen.«
    Der Garderobenschrank in dem kleinen Flur, der zum Schlafzimmer führte, hatte verspiegelte Schiebetüren. Bei deren Anblick verkrampfte sich etwas in Martie, und sie verlangsamte ihren Schritt in der vagen Befürchtung, dieselbe Angst, die sie schon zweimal an diesem Tag erlebt hatte, könnte wieder von ihr Besitz ergreifen.
    Sie musste sich zusammenreißen. Susan brauchte sie. Wenn sie sich einem neuerlichen Anfall von Wahnsinn überließ, würde ihre

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