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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Kapitel
    Hart und hohl klingend donnerten die Schläge an den nach Süden blickenden Küstenstreifen, als würde eine Flotte von Kriegsschiffen Raketen abfeuern, um die Invasion ihrer Truppen zu decken. Hohe Wellen klatschten auf das Ufer, und Wassergeschosse flogen, vom immer stärker werdenden Sturm aus den Brechern gerissen, über flache Dünen und spärliche Grashalme hinweg in Richtung Binnenland.
    Martie Rhodes eilte über die breite, asphaltierte Promenade der Halbinsel Balboa, die auf der einen Seite von Häuserfronten, auf der anderen von einem breiten, abfallenden Strand gesäumt war, und hoffte, dass der Regen noch eine halbe Stunde auf sich warten lassen würde.
    Susan Jaggers schmales, zweistöckiges Haus stand eingeklemmt in einer Reihe ähnlicher Bauten. Mit seinen von Wind und Wetter silbern gebleichten Zedernholzschindeln und den weißen Klappläden erinnerte seine Architektur an eines der typischen Häuser auf Cape Cod, aber das Grundstück war zu schmal, als dass dieser Baustil zur vollen Entfaltung hätte kommen können.
    Wie seine Nachbarn besaß auch dieses Haus weder einen Vorgarten noch eine Veranda, sondern lediglich einen ebenerdigen backsteingepflasterten Eingangsbereich, der mit ein paar Topfpflanzen begrünt und durch einen weißen Lattenzaun von der Straße abgetrennt war. Das Zauntor war nicht verschlossen und quietschte in den Angeln.
    Früher hatte Susan das Erdgeschoss und die erste Etage mit ihrem Mann Eric bewohnt, der sich im zweiten Stockwerk ein geräumiges, mit Bad und Küche ausgestattetes Büro eingerichtet hatte. Inzwischen lebten die beiden getrennt. Eric war vor einem Jahr ausgezogen; Susan war in den zweiten Stock umgesiedelt und hatte die beiden unteren Etagen an ein ruhiges Rentnerehepaar vermietet, das sich offensichtlich als einziges Laster allabendlich vor dem Essen je zwei Martinis gönnte und, abgesehen von vier Wellensittichen, keine Haustiere besaß.
    Über eine steile Außentreppe an der Seite des Hauses gelangte man in den zweiten Stock. Während Martie zu dem kleinen, überdachten Treppenabsatz hinaufstieg, kamen ganze Möwenschwärme vom Pazifik herüber und flogen kreischend über die Halbinsel in Richtung Hafen, um dort an geschützter Stelle das Ende des Sturms abzuwarten.
    Martie klopfte, wartete aber nicht, bis ihr geöffnet wurde, sondern schloss kurzerhand die Tür auf. Da Susan gewöhnlich nicht gern Besucher empfing und davor zurückschreckte, mit der Außenwelt konfrontiert zu werden, hatte sie Martie schon vor fast einem Jahr einen eigenen Schlüssel gegeben.
    Im Bewusstsein der vor ihr liegenden Tortur tief durchatmend trat sie in die Küche; die von einem einzigen Licht über dem Spülbecken beleuchtet wurde. Die Jalousien waren fest geschlossen, und in den Ecken hingen wie ein dunkelvioletter Schleier tiefe Schatten.
    Der Raum war nicht von würzigen Essensdüften erfüllt, sondern es roch schwach, aber merklich nach scharfen Desinfektionsmitteln, Scheuerpulver und Bohnerwachs.
    »Ich bin’s«, rief Martie, bekam aber keine Antwort.
    Im Esszimmer stellte eine Lampe hinter der Tür einer kleinen Vitrine, in der auf Glasborden eine Sammlung antiker Majolikastücke angeordnet war, die einzige Lichtquelle dar. Hier roch es nach Möbelpolitur.
    Wäre die Wohnung im Licht aller vorhandenen Lampen erstrahlt, man hätte kein Stäubchen gefunden – es herrschte peinlichere Sauberkeit als in einer Arztpraxis. Susan Jagger hatte viel Zeit, die ausgefüllt sein wollte.
    Die Duftmischung, die im Wohnzimmer in der Luft hing, ließ darauf schließen, dass vor nicht allzu langer Zeit die Teppiche schamponiert, die Möbel mit Politur behandelt und die Sessel- und Sofapolster vor Ort chemisch gereinigt worden waren. Auf den Beistelltischen rechts und links neben dem Sofa standen kleine, durchbrochene Keramikdosen, die mit einer Duftmischung mit Zitrusaroma gefüllt waren.
    Die gefältelten Gardinen vor den breiten Fenstern, die ein großartiges Meerespanorama einrahmten, waren zugezogen und wurden zum größten Teil von schweren Vorhängen verdeckt.
    Bis vor vier Monaten war Susan immerhin noch in der Lage gewesen, sehnsüchtig in die Welt zu blicken, auch wenn sie der Gedanke, sich hinauswagen zu müssen, mit Angst und Schrekken erfüllte. Seit sechzehn Monaten verließ sie das Haus nur noch in Begleitung eines Menschen, der ihr inneren Halt gab. Jetzt aber konnte schon der Anblick einer Welt ohne Wände und ohne ein schützendes Dach eine panische Reaktion

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