Stimmen der Angst
länger als zwei Generationen aus Italien ausgewandert sein. Aber ein anderer Zweig ihres Stammbaums trug unverkennbar den Stempel der Navajo. Mit ihrem schön geschnittenen Gesicht, den hohen Wangenknochen und dem rabenschwarzen Haar, schwärzer noch als Marties, stand sie vor ihnen, eine Prinzessin New Mexicos in einer weißen, am Kragen mit blaugefiederten Rotkehlchen bestickten Bluse, einem ausgeblichenen Jeansrock, umgeschlagenen Söckchen und abgelatschten weißen Turnschuhen.
Dusty und Martie stellten sich vor. »Wir suchen Chase Glyson«, sagte Dusty dann.
»Das ist mein Mann, ich bin Zina Glyson«, sagte die Frau. »Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen.«
Da Dusty zögerte, sagte Martie: »Wir würden uns gern mit ihm über Dr. Ahriman unterhalten. Mark Ahriman.«
Mrs. Glysons offenes Gesicht ließ keine Anspannung erkennen, und ihre Stimme blieb unverändert freundlich. »Sie kommen an meine Tür und nehmen den Namen des leibhaftigen Teufels in den Mund. Warum sollte ich mit Ihnen reden?«
»Er ist nicht der Teufel«, sagte Martie, »eher ein Vampir, und wir haben die Absicht, diesem Verbrecher einen Pfahl ins Herz zu stoßen.«
Mrs. Glysons direkter, forschender Blick war so durchdringend wie der einer Ältesten beim Stammestribunal. Nach einer Weile trat sie einen Schritt zurück und führte die Besucher aus der Kälte der Veranda in ihr warmes Heim im Schutz der dicken Adobemauern.
*
Normalerweise pflegte der Arzt keine Waffe bei sich zu tragen, aber bei allen Unabwägbarkeiten, die der Fall Rhodes mit sich brachte, schien ihm diese Vorsicht geboten.
Martie und Dusty waren, solange sie sich in New Mexico aufhielten, keine unmittelbare Gefahr für ihn. Sie würden ihn auch nicht in Gefahr bringen, wenn und falls sie nach Kalifornien zurückkehrten, vorausgesetzt, er kam ihnen nah genug, um sie mit ihren Schlüsselnamen – Shaw , Narvilly – zu aktivieren.
Mit Skeet sah die Sache anders aus. Sein von Drogen durchlöchertes Sieb von einem Gehirn war offensichtlich nicht in der Lage, die entscheidenden Informationen eines Kontrollprogramms dauerhaft zu speichern. Wenn dieser kleine Freak mit seinem dopeumnebelten Hirn nun aus irgendeinem Grund auf die Idee kam, Ahriman auf den Pelz zu rücken, war es durchaus möglich, dass er nicht sofort auf den Namen Dr. Yen Lo reagierte und somit Zeit haben würde, ihn mit einem Messer, einer Pistole oder sonst einer Waffe, die er bei sich hatte, anzugreifen.
Der graue Nadelstreifenzweireiher von Ermenegildo Zegna war elegant geschnitten, und es hätte aus modischer Sicht eigentlich gesetzlich verboten gehört, die Linie eines solchen Meisterwerks an Maßarbeit durch ein Schulterholster zu ruinieren. Zum Glück hatte sich der Arzt in weiser Voraussicht ein Spezialholster aus weichem Leder fertigen lassen, in dem sich die Pistole so unauffällig unter der Achselhöhle und so dicht am Körper tragen ließ, dass sie selbst dem geschulten Auge eines italienischen Stardesigners nicht aufgefallen wäre.
Andererseits verursachte die Waffe schon deshalb keine unschöne Ausbuchtung, weil es sich um eine kompakte Automatikpistole handelte, eine Taurus PT-111 Millennium mit einem Pearce-Griffverlängerer. Klein, aber effektiv.
Nachdem es am Vorabend so spät geworden war, hatte der Arzt ziemlich lange geschlafen, was auch kein Problem war, weil er jetzt, da Susan Jagger tot war, den üblichen Donnerstagvormittagstermin mit ihr nicht mehr wahrnehmen musste. Da ihn bis zum frühen Nachmittag keine weiteren Pflichten riefen, gönnte er sich eine Stippvisite in seinem Lieblingsladen für altes Spielzeug, wo er ein vorzüglich erhaltenes DodgeCity-Figurenset der Firma Marx für nur 3250 Dollar und das Spritzgussmodell eines Ferrari aus der Johnny-LightningKollektion für lediglich 115 Dollar erstand.
Außer ihm stöberten zwei weitere Kunden in dem Laden herum. Sie unterhielten sich mit dem Besitzer, und es bereitete Ahriman diebische Freude, sich vorzustellen, was sie für Gesichter machen würden, wenn er ohne jeden Anlass seine Pistole zog und ihnen ein paar Kugeln in den Wanst jagte. Natürlich setzte er seine Fantasie nicht in die Tat um. Schließlich freute er sich über sein Schnäppchen, und ihm war daran gelegen, bei dem Ladenbesitzer auch in Zukunft noch ein gern gesehener Kunde zu sein.
*
In der Küche roch es aus der Backröhre verführerisch nach frischem Maisbrot, und auf dem Herd stand ein großer Topf, aus dem das kräftige Fleischaroma eines Chili
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