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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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überheblich.
    »Post-Gothic?«
    »Gothic kannst du vergessen. Das ist was für Kinder.«
    »Sieht aus, als würdest du schon mal fürs Sterben üben«, sagte Martie.
    »Schon besser«, sagte Junior.
    »Was soll das für einen Sinn haben?«
    Junior legte das Buch aus der Hand. »Was soll alles andere für einen Sinn haben?«
    »Du meinst, weil wir alle irgendwann sterben?«
    »Dazu sind wir ja da«, sagte Junior. »Um darüber nachzudenken. Zuzusehen, wie der Tod andere Menschen trifft. Uns darauf vorzubereiten. Und dann selbst abzutreten und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.«
    »Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Dusty noch einmal, diesmal aber nicht an Junior, sondern an seinen Stiefvater gerichtet.
    »In der Pubertät durchlaufen die meisten Jungen, wie Derek eben auch, eine Phase, in der sie vom Tod fasziniert sind, und jeder denkt, dass er sich tiefschürfendere Gedanken über dieses Thema macht als alle anderen«, sagte Lampton, der über seinen Sohn sprach, als könnte dieser ihn nicht hören. Als Dusty und Skeet noch mit ihm unter einem Dach gelebt hatten, hatte er es mit ihnen genauso gemacht, hatte hemmungslos über sie geredet, als wären sie Tiere in einem interessanten Laborversuch, die den Sinn seiner Worte nicht begriffen. »Sex und Tod. Das sind die Themen der heranwachsenden Jugend. Jungen wie Mädchen, aber stärker noch die Jungen, sind geradezu besessen von diesen beiden Themen. Von Zeit zu Zeit machen sie eine Phase durch, in der sie fast psychotische Strukturen entwickeln. Schuld daran ist eine hormonelle Unausgewogenheit, und man lässt sie am besten ihre Obsessionen ausleben, denn die Natur bringt die Dinge ganz von selbst wieder ins Lot.«
    »Also, ich kann mich, ehrlich gesagt, nicht erinnern, vom Tod fasziniert gewesen zu sein«, sagte Martie.
    »Aber du warst es«, sagte Lampton, als hätte er sie schon als Kind gekannt. »Du hast es nur mit anderen Interessen kompensiert – Barbiepuppen und Make-up beispielsweise.«
    »Make-up ist eine Kompensation für die zwanghafte Beschäftigung mit dem Tod?«
    »Was könnte klarer auf der Hand liegen?«, sagte Lampton in einem oberlehrerhaft selbstgefälligen Ton. »Zweck des Schminkens ist es, die Spuren der Zeit zu überdecken, und Zeit ist nur ein anderes Wort für den Tod.«
    »Und für was stehen die Barbiepuppen?«, sagte Dusty.
    »Denk doch mal nach«, sagte Lampton gönnerhaft. »Was ist eine Puppe anderes als das Äquivalent eines Leichnams? Unbeweglich, kalt, starr, leblos. Ein kleines Mädchen, das mit einer Puppe spielt, spielt mit einem Leichnam … und lernt, sich nicht über die Maßen vor dem Tod zu fürchten.«
    »Ich kann mich erinnern, dass mich Sex fasziniert hat«, sagte Dusty, »aber …«
    »Sex ist eine Lüge«, sagte Junior. »Sex ist Verdrängung. Die Leute beschäftigen sich mit Sex, weil sie der Tatsache nicht ins Auge blicken wollen, dass es im Leben um den Tod geht. Es geht nicht um die Schöpfung, es geht um den Tod.«
    Lampton lächelte seinem Sohn mit so stolzgeschwellter Brust zu, dass es aussah, als müssten ihm gleich die Hemdknöpfe abplatzen. »Unser Derek hat beschlossen, sich für eine Weile intensiv mit dem Tod zu beschäftigen, um die Angst davor schneller zu überwinden, als es anderen Leuten in der Regel gelingt. Es ist eine legitime Methode, den Reifeprozess bewusst herbeizuführen und zu beschleunigen.«
    »Ich habe sie nicht überwunden«, sagte Martie trocken.
    »Siehst du?«, sagte Lampton, als hätte er gerade eine Bestätigung seiner Theorie erhalten. »Letztes Jahr war es Sex, wie es bei einem Vierzehnjährigen üblich ist. Nächstes Jahr, wenn er die gegenwärtige Phase überwunden hat, wird es wieder Sex sein.«
    Dusty konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass Junior, wenn er sich erst einmal ein Jahr lang in diesem schwarzen Zimmer seinen Todesfantasien hingegeben hatte, eher eines Tages die Sensation der Abendnachrichten sein würde, und ganz sicher nicht deshalb, weil er einen Rechtschreibwettbewerb gewonnen hatte.
    An den Jungen gewandt, sagte Lampton: »Dusty und Martie interessieren sich für unser Guerilla-Unternehmen Mark Ahriman.«
    »Diese Ratte«, sagte Junior. »Willst du ihm noch eine Breitseite verpassen?«
    »Warum nicht?«, sagte Lampton senior und rieb sich feixend die Hände.
    Junior wälzte sich vom Bett, streckte sich und ging zur Tür. Im Vorbeigehen sagte er zu Martie: »Klasse Titten.«
    Strahlend sah Lampton seinem Sohn nach. »Seht ihr? Er ist schon

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